Rz. 71
Wurde im Gesellschaftsvertrag die gemeinschaftliche Geschäftsführung abbedungen und einem Gesellschafter unter Befreiung von den Beschränkungen gem. § 181 BGB übertragen, waren die übrigen Gesellschafter bei einzelnen Gesellschaftsformen von der Geschäftsführung ausgeschlossen (vgl. z.B. § 710 BGB a.F.). Solange einem nach § 710 BGB a.F. berufenen Gesellschafter-Geschäftsführer die Geschäftsführungsbefugnis nicht durch einstimmigen Beschluss der übrigen Gesellschafter bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 712 BGB a.F.) entzogen wurde, durften die anderen Gesellschafter in Angelegenheiten der Geschäftsführung nicht mehr tätig werden. Sie hatten weder ein Widerspruchsrecht gegen die von dem Geschäftsführer getroffenen Maßnahmen noch konnten sie diesem Weisungen erteilen. Ihr Stimmrecht beschränkte sich auf Beschlüsse in anderen als Geschäftsführungsangelegenheiten. Der BFH bejahte auf dieser Grundlage in einem Urt. v. 1.7.2003 trotz einer Einstimmigkeitsabrede eine personelle Verflechtung in einer Besitz-GbR, die einem Doppelgesellschafter die alleinige Geschäftsführungsbefugnis übertragen hatte. Da die Mit-Gesellschafter zwar bei gesellschaftsfremden Angelegenheiten mitwirken mussten, sie aber keinen Einfluss mehr auf die Verwaltungsgeschäfte der Gesellschaft nehmen konnten, habe der Geschäftsführer faktisch auch das Nutzungsverhältnis hinsichtlich der Geschäfte des täglichen Lebens kontrolliert. Das nunmehr in § 715 BGB n.F. geregelte dispositive Recht der Geschäftsführung der GbR ist gegenüber den früheren Regelungen in §§ 709, 712 BGB verändert. Wird einem Gesellschafter die Einzelgeschäftsführungsbefugnis erteilt, haben die übrigen Gesellschafter ein Widerspruchsrecht gegen eine einzelne Geschäftsführungsmaßnahme (§ 715 Abs. 4 BGB) und können diesen Gesellschafter nach den Vorgaben des § 715 Abs. 5 BGB abberufen.
In einer Entscheidung vom 24.8.2006 bestätigte der BFH ebenfalls für eine Besitz-GbR, dass es auf die Prüfung einer tatsächlichen Durchsetzbarkeit der Geschäftsführungsbefugnisse ankommt: Die Allein-Geschäftsführungsbefugnis eines Gesellschafter-Geschäftsführers vermittele ihm die Beherrschung der Geschäfte des täglichen Lebens und damit des Nutzungsverhältnisses im Besitzunternehmen, wenn er über eine Beteiligung verfügt, die seine Ablösung durch die Mitgesellschafter ausschließt. Die Beherrschung der Betriebs-GmbH könne daneben gegeben sein, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer der Besitz-GbR an der GmbH in einer Höhe beteiligt sei, dass er in deren Gesellschafterversammlung Beschlüsse herbeiführen könne, nach denen statt seiner ein Dritter als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter (§ 46 Nr. 7 GmbHG) die Betriebs-GmbH gegenüber der Besitz-GbR vertreten könne. Er müsse daher im Besitzunternehmen und im Betriebsunternehme nicht auch von den Beschränkungen aus § 181 BGB befreit sein, sofern die Beherrschung beider Unternehmen auf einer anderen gesellschaftsrechtlichen Grundlage tatsächlich erreicht werden könne.
Nach einem weiteren BFH-Urt. v. 28.5.2020 liegt eine personelle Verflechtung als Voraussetzung einer Betriebsaufspaltung vor, wenn die personenidentischen Gesellschafter-Geschäftsführer der Besitz-GbR und der Betriebs-GmbH die laufenden Geschäfte der Besitz-GbR bestimmen können und der Nutzungsüberlassungsvertrag der Besitz-GbR mit der Betriebs-GmbH nicht gegen den Willen dieser Personengruppe geändert oder beendet werden kann. Das Doppelvertretungsverbot des § 181 BGB steht nach dieser Entscheidung – in Bestätigung des Urteils vom 24.8.2006 – der Annahme einer Beherrschungsidentität von Gesellschafter-Geschäftsführern aus Besitz-GbR und Betriebs-GmbH nicht entgegen, wenn die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen die Umgehung dieses Verbots durch Übertragung der Vertretung auf eine andere Person ermöglichen. Bei der Betriebs-GmbH konnte die beherrschende Personengruppe das Doppelvertretungsverbot dadurch beseitigen, dass ein anderer Vertreter ermächtigt wird, entsprechende Rechtsgeschäfte mit der Besitz-GbR zu schließen; im konkreten Streitfall war dies ein Prokurist. Der IV. Senat stellte klar, dass in dieser Sichtweise keine Anknüpfung an eine fiktive Beherrschungssituation liege, sondern die personelle Verflechtung auf den rechtlichen Vereinbarungen beruhe, die einerseits das Vertragsverhältnis zwischen Besitz- und Betriebsgesellschaft, andererseits aber auch die geltenden gesellschaftsrechtlichen Regeln über das Zustandekommen und Umsetzen der Willensbildung ausmachten. Diese normative Struktur bestimme darüber, ob ein einheitlicher Wille für beide Gesellschaften durch eine Person oder Personengruppe gebildet und durchgesetzt werden könne, weil es auf eine strukturelle Durchsetzungsmöglichkeit eines einheitlichen Willens im Besitz- und im Betriebsunternehmen ankomme und nicht darauf, ob davon im Einzelfall von den Durchsetzungsmöglichkeiten auch Gebrauch gemacht wurde.