Rz. 274
Nach § 74 AO haftet der Eigentümer eines Gegenstands, wenn er diesen einem Unternehmen überlässt, an dem er wesentlich beteiligt ist. Durch die Eigentümerhaftung nach § 74 AO sollen Ausfälle von Betriebssteuern vermieden werden, die dadurch entstehen, dass Unternehmen die von ihnen genutzten Gegenstände nicht in ihrem Betriebsvermögen führen, sondern von ihren Gesellschaftern überlassen bekommen. Diese Norm führt in steuerlicher Hinsicht zu einer Aufhebung der Haftungsbeschränkung für die Betriebssteuern der Betriebs-GmbH oder einer Betriebspersonengesellschaft im Fall der Betriebsaufspaltung (und den Fällen des Sonderbetriebsvermögens).
1. Wesentlich beteiligte Person
Rz. 275
Die Haftung beschränkt sich auf wesentlich beteiligte Personen. Die Rechtsform der Gesellschaft ist hierbei unerheblich. Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 AO ist eine Person an einem Unternehmen wesentlich beteiligt, wenn sie zu mehr als 25 % am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt ist. Hierbei werden nach dem Gesetzeswortlaut sowohl mittelbare als auch unmittelbare Beteiligungen an der Gesellschaft berücksichtigt. Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AO gilt eine Person unabhängig von ihrer tatsächlichen Beteiligung an der Gesellschaft als wesentlich beteiligt, wenn sie auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss tatsächlich ausübt und durch ihr Verhalten positiv dazu beiträgt, dass fällige Steuern nicht entrichtet werden. Dies bedeutet, dass die Haftung gerade auch bei personeller Verflechtung kraft faktischer Beherrschung Platz greifen kann. Für die Betriebsaufspaltung hat das FG Köln mit Urt. v. 9.12.1999 entschieden, dass es bei der Bestimmung der Beteiligungsquote eines wesentlich beteiligten Gesellschafters nicht auf die Personengruppentheorie ankommt, d.h. nicht jeder der beherrschenden Gesellschafter kann zur Haftung herangezogen werden, sondern nur die tatsächlich zu mehr als 25 % beteiligten Doppelgesellschafter.
2. Gegenstände, die einem Unternehmen dienen
Rz. 276
Nach dem Anwendungserlass zur AO (AEAO) zu § 74 AO vertritt das BMF, dass der Begriff des Gegenstands nur Sachen i.S.d. § 90 BGB, nicht aber Rechte umfasst. Dies ist nicht unbestritten. Dies führt nach der herrschenden Meinung zu der Rechtsfolge, dass Betriebsaufspaltungen, die auf der Überlassung von Rechten beruhen, nicht im Anwendungsbereich der Regelung liegen. Auf die Entgeltlichkeit der Überlassung kommt es wie bei der typischen Betriebsaufspaltung nicht an. Somit sind sowohl Miet- und Pachtverträge mit festem oder variablem (z.B. gewinnabhängigem) Entgelt als auch Leihverträge und tauschähnliche Rechtsgeschäfte (Nutzung gegen eine sonstige nicht in Geld bestehende Leistung) in die Haftung eingeschlossen.
3. Eigentümer
Rz. 277
Da die Haftung in der Endkonsequenz auf eine mögliche Vollstreckung hinausläuft, kann nur der zivilrechtliche Eigentümer in Haftung genommen werden. Wirtschaftliches Eigentum i.S.d. § 39 Abs. 2 AO genügt nicht, da hierin nicht vollstreckt werden kann. Unerheblich ist, ob die Gegenstände einem Beteiligten allein oder mehreren Beteiligten zur gesamten Hand gehören, z.B. bei einer Besitz-GbR. Möglich ist auch eine Haftung mit Bruchteilen an einer Bruchteilsgemeinschaft. Der BFH lehnt sowohl die Einordnung einer Personengruppe als "Eigentümer" i.S.d § 74 Abs. 1 Satz 1 AO als auch die Annahme einer "wesentlichen Beteiligung an einem Unternehmen" gem. § 74 Abs. 2 Satz 1 AO durch Zusammenrechnung der von mehreren Familienmitgliedern gehaltenen Anteile oder Anwendung der Personengruppentheorie ab.
4. Sachlicher Umfang der Haftung
a) Haftung für Betriebssteuern
Rz. 278
Die Haftung umfasst nur Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, bei denen sich die Steuerpflicht zwingend auf den Betrieb des Unternehmens gründet (Betriebssteuern). Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich. Zu den Betriebssteuern gehören insb.: USt, Gewerbesteuer, Verbrauchsteuern bei Herstellungsbetrieben und Rückforderung von Investitionszulagen. Hingegen nicht zu den Betriebssteuern gehören die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer, Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer und Zölle. Die Haftung erstreckt sich ebenfalls nicht auf steuerliche Nebenleistungen, d.h. Verspätungszuschläge (§ 152 AO), Zinsen (§§ 233–237 AO), Säumniszuschläge (§ 240 AO), Zwangsgelder (§ 329 AO), Kosten (§§ 178, 337–345 AO) und Zinsen i.S.d. Zollkodexes. Die Betriebssteuern müssen während der Zeit des Bestehens der wesentlichen Beteiligung und des gleichzeitigen Dienens des Gegenstandes entstanden sein, ohne dass es auf deren Festsetzung oder Fälligkeit ankommt.
b) Gegenständliche Beschränkung der Haftung
Rz. 279
Die Haftung des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Eigentümers nach § 74 AO erstreckt sich nicht nur auf die dem Unternehmen überlassenen und diesem dienenden Gegenstände, sondern erfasst nach einem grundlegenden Urteil des BFH in Fällen der Wegga...