Rz. 49
Nach § 254 BGB hat der Geschädigte ein Mitverschulden bei der Entstehung oder der Entwicklung seines Schadens zu verantworten (zum Einwand des Mitverschuldens ggü. einem Schadensersatzanspruch wegen Vertragsverletzung vgl. § 6 Rdn 1 ff.).
Rz. 50
Der Einwand des Mitverschuldens, der in einem Rechtsstreit von Amts wegen zu beachten ist, betrifft auch einen Schadenersatzanspruch des unmittelbar Geschädigten aus unerlaubter Handlung einschließlich des Anspruchs auf Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) – hier ist das Mitverschulden als Bewertungsfaktor, nicht quotenmäßig zu berücksichtigen. Die nach §§ 844, 845 BGB ersatzberechtigten mittelbar Geschädigten müssen sich ein Mitverschulden des unmittelbar Geschädigten bei der Entstehung des Schadens gem. § 254 BGB zurechnen lassen (§ 846 BGB); außerdem sind sie für ein eigenes schadensursächliches Mitverschulden verantwortlich.
Rz. 51
Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB ist ein vorwerfbarer Verstoß gegen die im eigenen Interesse gebotene Obliegenheit, eine Selbstschädigung zu vermeiden, also ein "Verschulden gegen sich selbst" und "in eigener Angelegenheit". Darüber hinaus qualifiziert die höchstrichterliche Rechtsprechung § 254 BGB als eine konkrete gesetzliche Ausprägung des in § 242 BGB enthaltenen allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben. Ein Mitverschulden ist dem Geschädigten vorzuwerfen, der bei der Entstehung oder Entwicklung seines Schadens diejenige Aufmerksamkeit und Sorgfalt außer Acht lässt, die nach der Sachlage jedem verständigen Menschen erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Eine solche Missachtung der Sorgfalt in eigener Angelegenheit muss nicht eine selbstständige Haftung des Geschädigten begründen. Ein – vorsätzliches oder fahrlässiges – Mitverschulden setzt Zurechnungsfähigkeit voraus; insoweit gelten §§ 827, 828 BGB entsprechend, sodass auch § 829 BGB analog anzuwenden ist.
Rz. 52
Ein Mitverschulden des Geschädigten kann nur dann auf den Schadensersatzanspruch angerechnet werden, wenn es als adäquate Mitursache zum Schaden beigetragen hat; zeitlich kann es grds. der unerlaubten Handlung vorausgehen oder nachfolgen.
Rz. 53
Weiterhin setzt die Zurechnung eines Mitverschuldens voraus, dass der Schadensbeitrag des Geschädigten nach Art und Entstehungsweise bei wertender Betrachtung in den Schutzbereich der verletzten Norm (§ 254 BGB) fällt; der infolge des Mitverschuldens entstandene Nachteil muss also aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Vorschrift dient (vgl. § 6 Rdn 6). Der Zweck des § 254 BGB, eine voraussehbare und vermeidbare Selbstschädigung zu verhindern, muss die vom Geschädigten verletzte Obliegenheit und den damit verbundenen Nachteil umfassen.
Rz. 54
Das schadensursächliche Mitverschulden des Geschädigten kann sich auf die Entstehung des Schadens beziehen (§ 254 Abs. 1 BGB). Eine vom Geschädigten zu verantwortende Sach- oder Betriebsgefahr ist zu berücksichtigen. Auch eine schuldlose Mitverursachung, die sich nicht aus einer Sach- oder Betriebsgefahr ergibt, kann anzurechnen sein, wenn der Schadensersatzanspruch weder auf einer Gefährdungs- noch auf einer Verschuldenshaftung beruht.
Rz. 55
Ein Mitverschulden kann die Entwicklung des Schadens betreffen, weil der Geschädigte es zu unterlassen hat, den Schädiger auf die – diesem unbekannte und nicht erkennbare – Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen oder den Schaden abzuwenden oder zu mindern (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Erfüllt der Geschädigte seine Obliegenheit gem. § 254 Abs. 2 BGB, so sind seine dabei entstandenen Aufwendungen ein adäquater Folgeschaden. Der Nichtgebrauch aussichtsreicher Rechtsbehelfe kann ein Mitverschulden des Geschädigten begründen (vgl. § 6 Rdn 19). Gleiches gilt für unterlassene sonstige Verteidigungsmöglichkeiten.
Rz. 56
Einen Beitrag seines gesetzlichen Vertreters oder eines Gehilfen zur Entstehung des Schadens braucht sich der Geschädigte dann nicht gem. §§ 254 Abs. 1, 278 BGB anrechnen zu lassen, wenn – wie im Regelfall – vor dem haftungsbegründenden Ereignis (der unerlaubten Handlung) zwischen Schädiger und Geschädigtem keine schuldrechtliche (vertragliche oder vertragsähnliche) Beziehung oder sonstige rechtliche Sonderverbindung bestanden hat. Anders ist dies bzgl. der Pflicht zur Schadensminderung aus §§ 254 Abs. 2, 278 BGB nach dem schadensstiftenden Ereignis, weil dieses dann eine Rechtsbeziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem geschaffen hat, die der Geschädigte durch gesetzliche Vertreter oder Hilfspersonen i.S.d. § 278 BGB erfüllen kann.
Rz. 57
Bestand dagegen schon vor der unerlaubten Handlung eine schuldrechtliche Verbindung zwischen Schädiger und Geschädigten, so muss sich dieser nach § 254 Abs. 1 BGB auch einen Beitrag seines gesetzlichen Vertreters oder seines Erfüllungsgehilfen zur Entstehung des Schadens unter den Voraussetzungen des § 278 BGB – also falls der ge...