Rz. 1

Der Bevollmächtigte kann aufgrund der Vollmachtsurkunde und der von ihr ausgehenden Rechtsscheinwirkung (§§ 172, 171 BGB), trotz erfolgter wirksamer Widerrufserklärung des Vollmachtgebers, den Vollmachtgeber grundsätzlich noch wirksam verpflichten. Der Geschäftsgegner wird bei Vorlage der Urschrift oder der Ausfertigung von notariell beurkundeten Vollmachten in seinem guten Glauben an den Fortbestand der Vollmacht geschützt. Um diesen Missbrauch der Vollmacht zu verhindern, steht dem Vollmachtgeber nach Widerruf der Vollmacht ein Anspruch auf Rückgabe sämtlicher sich im Umlauf befindlicher Vollmachtsurkunden zu (siehe § 14 Rdn 39 ff.). Der Anspruch ergibt sich aus § 175 BGB. Mit Rückgabe der Vollmachtsurkunde wird die Fiktion der Vertretungsmacht beseitigt. Weigert sich der Bevollmächtigte allerdings die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückzugeben, so stellt die Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde (§ 176 BGB) eine gleichwertige Möglichkeit zu deren Rückgabe dar. Auch die Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde vernichtet den Rechtsschein nach § 172 BGB.[1] Selbst wenn der Verbleib der Vollmachtsurkunde nicht geklärt werden kann, ist das Verfahren der Kraftloserklärung der Vollmacht eine Möglichkeit für den Vollmachtgeber Rechtssicherheit zu schaffen.[2]

 

Rz. 2

Die Kraftloserklärung der Vollmacht stellt das einzige Mittel des Vollmachtgebers dar, mit welchem er das Erlöschen der Vollmacht nach außen kommunizieren kann und welches von allen Seiten wahrgenommen wird.[3] Das Recht die Herausgabe der Vollmachtsurkunde zu verlangen, steht gleichwertig neben dem Recht, die Vollmachtsurkunde für kraftlos erklären zu lassen.[4] Vor Einleitung des Verfahrens der Kraftloserklärung muss eine Aufforderung zur Rückgabe der Vollmachtsurkunde gegenüber dem Bevollmächtigten nicht erfolgen.[5]

 

Praxistipp

Wird die Vollmachtsurkunde vom Bevollmächtigten nicht herausgegeben, gleich aus welchem Grund, kann neben der Kraftloserklärung einer Vollmachtsurkunde diese auch im Wege einer einstweiligen Verfügung herausverlangt werden.[6] Kosten rufen beide Verfahren hervor. Welcher Weg gewählt wird, sollte im Einzelfall unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile des jeweiligen Rechtsmittels entschieden werden. Bei der Kraftloserklärung ist zu berücksichtigen, dass sie erst mit Ablauf eines Monats nach der letzten Einrückung in die öffentlichen Blätter wirksam wird. In der Zwischenzeit kann der Bevollmächtigte die Vollmacht weiterhin missbrauchen. Zudem wird die Auseinandersetzung mit dem Bevollmächtigten öffentlich.[7] Behauptet der Bevollmächtigte allerdings, er sei nicht mehr im Besitz der Vollmachten oder ist er bspw. unbekannt verzogen, würde eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe der Vollmachtsurkunde nicht zum Ziel führen, sondern nur eine Kraftloserklärung.

[1] Vgl. MüKo-BGB/Schubert, § 176 Rn 1.
[2] Vgl. Kurze/Kurze, VorsorgeR, § 176 Rn 1.
[3] Vgl. BeckOGK BGB/Deckenbrock, § 176 Rn 2.
[4] Vgl. NK-BGB/Ackermann, § 176 Rn 1; BeckOGK/Deckenbrock, 2022, § 176 Rn 3.
[5] BeckOGK BGB/Deckenbrock, § 176 Rn 3.
[6] Siehe § 14 Rdn 41.
[7] Siehe hierzu Danninger, RDi 2021, 109 Rn 20.

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