Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 106
Im Bereich der Betriebsveräußerung in der Insolvenz sind vor allem § 128 InsO und § 613a Abs. 4 BGB einschlägig. § 128 InsO sieht hierzu vor, dass die unter Rdn 101 ff. zum KSchG genannten Erleichterungen auch dem Erwerber des Betriebes zugutekommen, wenn er das Unternehmen aus der Insolvenzmasse erwirbt. Kündigt der Erwerber also erst nach der Übernahme, so genießt er dieselben Erleichterungen wie der Insolvenzverwalter (§§ 125–127 InsO). Er ist an dem verkürzten Beschlussverfahren nach § 126 InsO beteiligt. Die Nachprüfbarkeit seiner Kündigungsentscheidung ist in gleicher Weise beschränkt.
Rz. 107
Diese gesetzliche Regelung wurde vom BAG auf die Anwendung des § 613a Abs. 4 BGB ausgedehnt. § 613a Abs. 4 BGB soll demnach bei einer "Kündigung nach dem Erwerberkonzept" nicht zur Anwendung kommen, obwohl der Insolvenzverwalter nur einen Tag vor der Veräußerung des Betriebes gekündigt hatte, wenn
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ein verbindlicher Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, |
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dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits "greifbare Formen" angenommen hatte, und |
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wenn sich aus ihm ergibt, dass der klagende Arbeitnehmer bei dem Erwerber genauso wenige Beschäftigungsmöglichkeiten haben würde wie bei dem Veräußerer. |
Rz. 108
In seiner Begründung betont der Senat, dass der Gesetzgeber mit Einführung des § 613a Abs. 4 BGB "keine künstliche Verlängerung des Arbeitsverhältnisses" herbeiführen wollte.
Rz. 109
Die Kündigungsmaßnahme muss aber von vornherein als Maßnahme im Rahmen einer übertragenden Sanierung, also einer Betriebsveräußerung, gekennzeichnet werden. Einen Erwerber, der nicht von vornherein an der Maßnahme beteiligt war, wird die Anwendung des § 613a Abs. 4 BGB nach wie vor in voller Härte treffen. Ihm bleiben dann nur die im Rahmen des § 613a Abs. 4 BGB ansonsten zulässigen Abwehrmittel (z.B. Vereinbarung neutralisierender Betriebsvereinbarungen, evtl. Wechsel des Tarifvertrages durch rechtzeitige Aufspaltung des eigenen Betriebs etc.).
Rz. 110
Erfolgt die Übernahme arbeitsrechtlich ungeplant, so reduzieren die Risiken aus § 613a BGB ganz erheblich den Kaufpreis. Seit der Rechtsprechung des BAG zum "Erwerbermodell" wird dies nur noch bei Zeitdruck seitens des Verwalters in Betracht kommen und ansonsten für diesen einen Haftungsfall darstellen, wenn er die arbeitsrechtlichen Möglichkeiten zuvor nicht ausgeschöpft hatte.
Rz. 111
Idealerweise werden Insolvenzverwalter und Erwerber die Pflichten des Verwalters und den Ablauf des Betriebsübergangs vertraglich festlegen. Soll die Betriebsänderung noch vom Verwalter vorgenommen werden, so ist darauf zu achten, dass der Stichtag für den Betriebsübergang nicht vor dem Zugang der letzten Kündigung vereinbart wird.