Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 138
Schließlich soll noch kurz auf die Rechtsstellung der Arbeitnehmer eingegangen werden, deren Arbeitsverträge Auslandsberührung haben. Dies betrifft insbesondere diejenigen Unternehmen, die im Ausland ihren Sitz haben, aber im Inland über eine Zweigniederlassung tätig sind, oder im Inland lediglich eine Betriebsstätte haben, in der Mitarbeiter beschäftigt werden.
I. Hauptverwaltungssitz innerhalb der EU
Rz. 139
Auf Insolvenzverfahren über das Vermögen von Unternehmen, die ihren Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats haben, findet seit dem 31.5.2002 die Europäische Insolvenzverordnung ("EuInsVO") unmittelbar Anwendung.
Grundsätzlich gilt danach für das gesamte Verfahren von der Eröffnung bis zur Verteilung des Schuldnervermögens das Insolvenzrecht des Eröffnungsstaats, Art. 7 Abs. 1 EuInsVO. Art. 7 Abs. 2 EUInsVO regelt danach die wichtigsten Wirkungsbereiche. Diese Verweisungen sind regelmäßig als Verweisungen auf das materielle Insolvenzrecht zu verstehen.
Rz. 140
Gem. Art. 13 EuInsVO gilt für sämtliche Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis an sich jedoch weiterhin ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist.
Rz. 141
Nach europäischen international-privatrechtlichen Grundsätzen ist auf Arbeitsverhältnisse regelmäßig dasjenige Recht anwendbar, das an dem Ort gilt, an dem die Arbeitsleistung für gewöhnlich zu erbringen ist, Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO. Etwas anderes kann aber grundsätzlich vereinbart werden, solange hierdurch nicht der durch Art. 8 Rom I-VO zu gewährende Arbeitnehmerschutz unterwandert wird, vgl. Art. 8 Abs. 1 S. 1, 2 Rom I-VO. Die Norm gilt allerdings nicht im Kollektivarbeitsrecht.
Im Ergebnis wird danach in aller Regel das lokale Arbeitsrecht Anwendung finden.
Rz. 142
Ist der deutsche Arbeitnehmer z.B. bei einer französischen Gesellschaft mit Sitz in Frankreich beschäftigt und hat er seine Arbeitsleistung gewöhnlich in deren Zweigniederlassung in Deutschland zu erbringen, so ist auf den Arbeitsvertrag deutsches Recht anzuwenden, wenn nichts anderes vereinbart ist. Fällt die französische Arbeitgeberin in Insolvenz, so kommt gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO eigentlich das französische Insolvenzrecht zur Anwendung; Art. 13 EuInsVO verweist in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten jedoch insoweit auf das Recht des Arbeitsvertrags.
Allerdings kann die Abgrenzung von rein insolvenzrechtlichen Vorschriften und rein arbeitsrechtlichen Vorschriften Schwierigkeiten bereiten, wie gerade das Beispiel der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung deutlich macht.
Schließt ein Administrator nach englischem Recht mit einem deutschen Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, so kommt § 125 InsO vollumfänglich zur Anwendung
Das deutsche Insolvenzgeld gem. §§ 165 ff. SGB III unterliegt überhaupt nicht der EuInSVO und damit nicht deren Kollisionsregeln. Ergänzend wird man ohne Berücksichtigung der europäischen Richtlinien zum Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (RL 2008/94/EG), der Richtlinie zu Massenentlassungen (RL98/59/EG) und zum Betriebsübergang (RL 2002/23/EG) zur umfassenden Beurteilung der Rechtslage nicht auskommen.
II. Hauptverwaltungssitz außerhalb der EU
Rz. 143
Befindet sich der Hauptverwaltungssitz des Arbeitgebers dagegen nicht im Geltungsbereich der EuInsVO, also z.B. in Übersee, so gilt grundsätzlich dortiges Insolvenzrecht. In diesem Fall ist nach bilateralen Staatsverträgen zu suchen. Anderenfalls muss der Streit entschieden werden, ob es sich bei der einen oder anderen Vorschrift um eine rein arbeitsrechtliche oder eine rein insolvenzrechtliche Vorschrift handelt.