Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 131
Die Insolvenzordnung unterscheidet zwischen "Massearmut" (§ 207 InsO) und "Masseunzulänglichkeit" (§ 208 InsO). "Massearmut" liegt vor, wenn sich nach der Eröffnung herausstellt, dass nicht einmal die Kosten des Verfahrens (Verwaltervergütung und Gerichtsgebühren) gedeckt sind, während das Gesetz von "Masseunzulänglichkeit" spricht, wenn zwar die Kosten aus der Masse bezahlt werden können, nicht jedoch die übrigen Masseverbindlichkeiten (z.B. Arbeitslohn).
Rz. 132
Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit bewirkt gem. § 209 InsO im Wesentlichen, dass die noch vorhandene Masse in folgender Reihenfolge zu verwenden ist:
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zunächst zur vollständigen Deckung der Verfahrenskosten (i.e. Verwaltervergütung und -auslagen, Gerichtskosten), |
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dann zur Bezahlung derjenigen Verbindlichkeiten, die nach der Anzeige neu begründet wurden, |
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und erst danach zur Bezahlung der Verbindlichkeiten, die zwischen Verfahrenseröffnung und Massearmutsanzeige begründet wurden, |
und zwar bei gleichem Rang nach dem Verhältnis ihrer Beträge. Die Einhaltung der Rangfolge kann durch Einsicht der Schlussrechnungslegung bei Gericht überprüft werden.
Rz. 133
Für Arbeitsverhältnisse und sonstige Dauerschuldverhältnisse gilt Folgendes: Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit hat der Verwalter den betroffenen Arbeitnehmern unverzüglich zu kündigen und sie – sofern er die Arbeitsleistung nicht benötigt – freizustellen. Versäumt er den ersten möglichen Kündigungstermin, so hat er die Ansprüche aus der Zeit zwischen dem frühestmöglichen und dem tatsächlichen Beendigungstermin wieder vorweg aus der Masse zu bezahlen. Hatte der Verwalter die Gegenleistung jedoch entgegengenommen, so muss er die laufenden Ansprüche aus der Masse weiterzahlen, allerdings nur an Rangstelle 2.
Rz. 134
"Frühestmöglich" bezieht sich dabei auf die rechtliche Möglichkeit. Auch im Bereich der Masseunzulänglichkeit gelten die Kündigungsschutzvorschriften nämlich uneingeschränkt weiter. Sind der Kündigung also z.B. noch Interessenausgleichsverhandlungen, Anhörungsverfahren etc. vorgeschaltet, so ist deren Beendigung abzuwarten, bevor die Kündigung ausgesprochen werden kann. Kündigt der Verwalter vorzeitig, so ist die Kündigung unwirksam. Das gilt auch für die Kündigung von leitenden Angestellten.
Rz. 135
Erleidet ein Arbeitnehmer einen Ausfall, kommt eine Haftung des Insolvenzverwalters nach §§ 60, 61 InsO in Betracht. Allerdings führt hier ein Vermögensvergleich bei rechtmäßigem Alternativverhalten häufig zu dem Ergebnis, dass gar kein Schaden entstanden ist. Der Verwalter haftet allerdings nur für die gewillkürten Masseverbindlichkeiten, während er für den Ausfall von oktroyierten Masseverbindlichkeiten, z.B. Arbeitslöhne, grundsätzlich nicht haftet. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Verwalter eine frühere Kündigungsmöglichkeit versäumt hat, soweit dem Arbeitnehmer dadurch ein Schaden entstanden ist.
Rz. 136
Voraussetzung für die Haftung ist allerdings, dass der Verwalter die Masseunzulänglichkeit bei pflichtgemäßer Liquiditätsplanung rechtzeitig hätte erkennen können. Für mangelndes Verschulden muss er sich entlasten (§ 61 S. 2 InsO). Der Verwalter haftet dem Geschädigten grundsätzlich persönlich. Der Anspruch richtet sich also nicht gegen ihn "in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH", sondern gegen ihn persönlich. Der Schaden kann auch nicht auf die Masse abgewälzt werden, ist aber in der Regel auf Kosten der Masse versichert.