Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 92
Neben den verkürzten Fristen des § 113 InsO hat der Gesetzgeber weitere Erleichterungen für den Insolvenzverwalter vorgesehen:
1. Kündigung von Betriebsvereinbarungen gem. § 120 InsO
Rz. 93
Betriebsvereinbarungen, die Leistungen vorsehen, die die Insolvenzmasse belasten, können gem. § 120 Abs. 1 InsO ebenfalls mit einer verkürzten Kündigungsfrist von drei Monaten oder – bei Vorliegen eines wichtigen Grundes – fristlos (§ 120 Abs. 2 InsO) gekündigt werden.
Rz. 94
Ein wichtiger Grund kann darin liegen, dass der Verwalter vor die Wahl gestellt wird, das Unternehmen für eine übertragende Sanierung zu erhalten oder das Verfahren wegen nachträglicher Massearmut unverzüglich einstellen zu lassen. Mit letzterer Maßnahme wäre der Rechtsträger erloschen, für die Gläubiger würde ein Vermögenswert vernichtet, für einen Teil der Arbeitnehmer würden die letzten Aussichten, den Arbeitsplatz zu erhalten, ebenfalls vernichtet. In einer solchen Situation kann eine fristlose Kündigung von Betriebsvereinbarungen ausnahmsweise als begründet angesehen werden.
Ungeachtet der ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung wirkt diese jedoch unter Umständen nach, vgl. § 77 Abs. 6 BetrVG. Dies schmälert den Bedeutungsgehalt dieser Vorschrift.
Zu beachten ist, dass die Kündigung von Betriebsvereinbarungen nach § 120 InsO in Eigenverwaltungsverfahren der Zustimmung des Sachwalters bedarf, § 279 S. 2 InsO.
2. Betriebsänderung und Sozialplanansprüche unter der Geltung der Insolvenzordnung
Rz. 95
Plant der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung im eröffneten Insolvenzverfahren, so hat er dieselben Vorschriften zu beachten wie das Management außerhalb der InsO, allerdings mit folgenden Erleichterungen:
Rz. 96
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Gem. § 121 InsO muss ein Vermittlungsversuch des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit nur dann vorgeschaltet werden, wenn sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Betriebsrat dies gemeinsam beantragen. |
Rz. 97
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Das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG ist entbehrlich, wenn ein Interessenausgleich nicht binnen drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande kommt. In diesem Fall, oder wenn kein Betriebsrat gebildet wurde, kann der Verwalter sofort die Zustimmung des Arbeitsgerichts zu der geplanten Maßnahme beantragen, § 122 InsO. Ein Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG findet in diesem Falle nicht statt, wenn das Arbeitsgericht dem Insolvenzverwalter durch Beschluss die Durchführung der beabsichtigten Betriebsänderung gestattet. |
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Gegen diesen Beschluss des Arbeitsgerichts findet binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses in seiner vollständigen Form die Rechtsbeschwerde zum BAG statt, wenn sie zugelassen wird. § 72 Abs. 2 und 3 ArbGG gilt entsprechend. |
Rz. 98
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Sozialplanansprüche sind doppelt gedeckelt: Zunächst ist jeder Einzelanspruch auf das 2,5-fache Monatsverdienst beschränkt (absolute Obergrenze). Insgesamt darf der Verwalter aber nur ein Drittel der freien Masse für Sozialplanansprüche ausgeben (relative Obergrenze), wenn nicht ein Insolvenzplan zustande kommt. Da die freie Masse erst am Ende des Verfahrens feststehen wird, darf der Verwalter nur mit Zustimmung des Gerichts Abschlagszahlungen auf Sozialplanansprüche vornehmen. |
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Zwangsvollstreckungen in die Masse wegen Sozialplanforderungen sind generell unzulässig (§ 123 Abs. 3 S. 2 InsO). |
Rz. 99
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Wird ein Sozialplan vor der Eröffnung von dem "schwachen" vorläufigen Verwalter aufgestellt, so ist er unwirksam. Ansprüche hieraus dürfen aus der Masse nicht erfüllt werden. Etwas anders gilt nur, wenn der vorläufige Verwalter entsprechend gerichtlich ermächtigt war. |
Rz. 100
Ein Sozialplan, der bis zu drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden ist, kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch von dem Betriebsrat widerrufen werden (§ 124 InsO). Die betroffenen Arbeitnehmer können in einem neuen Sozialplan berücksichtigt werden. Diese Regelung ergeht rein zeitlich in Anlehnung an die Insolvenzanfechtungsvorschriften zur inkongruenten Deckung. Allerdings kann nicht der einzelne Leistungsempfänger widerrufen, etwa, weil er einer nachteiligen Regelung zugestimmt hat, dieses Recht steht arbeitnehmerseitig allein dem Betriebsrat zu. Im Fall eines Widerrufs können die Arbeitnehmer, die mit ihren Forderungen ausgefallen sind, bei der Aufstellung eines Insolvenzsozialplans berücksichtigt werden, während anderenfalls bereits erfüllte Forderungen bis zur Höhe von 2,5 Monatsverdiensten aus diesem abzusetzen sind, § 124 Abs. 2, 3 InsO. Die Berücksichtigung der Sozialplanleistungen im Insolvenzverfahren für die bereits in einen früheren Sozialplan aufgenommenen Arbeitnehmer hat für diese den Vorteil, dass diese Leistungen aus dem Sozialplan nach der Verfahrenseröffnung unter Berücksichtigung der Drittelobergrenze aus der Insolvenzmasse zu zahlen sind, während sie andernfalls nur Insolvenzforderungen darstellen. Unterlassen Insolvenzverwalter und der Betriebsrat den Widerruf, sind die nicht erfüllten Forderungen aus dem Insolvenzsozialplan zur Tabelle anzumelden. Bereits gegenüber den Arbeitnehmern erfüllte Forderungen k...