Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 88
Sofern der Versicherte seine Tätigkeit trotz eingetretener gesundheitlicher Beeinträchtigung fortsetzt, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass eine leistungsauslösende Berufsunfähigkeit nicht vorliegt.
Grundsätzlich gilt allerdings, dass sich der Versicherte nicht gesundheitlich überfordern oder Raubbau an seiner Gesundheit betreiben muss. Alle überobligationsmäßigen Anstrengungen, die die Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes bergen, sind unzumutbar. Raubbauarbeit liegt vor, wenn durch Fortsetzung der bisherigen Berufstätigkeit aufgrund nachgewiesener Beweisanzeichen die Prognose gestellt werden kann, dass es mit einem messbaren, rational begründbaren Grad von Wahrscheinlichkeit zu weiteren Gesundheitsschäden kommt, z.B. durch Nebenwirkungen von Medikamenten. Bleibt hingegen offen, ob weitere Gesundheitsschäden durch die noch ausgeübte Tätigkeit eintreten, ist jedenfalls bei einer mehr als hälftigen Fortsetzung der konkreten Berufstätigkeit eine Berufsunfähigkeit nicht bewiesen.
Rz. 89
Ein Arbeiten unter dauernden Schmerzen ist unzumutbar. Treten Schmerzen ab der Hälfte der vorherigen Arbeitszeit auf und sind sie nur durch aufwendige Gegenmaßnahmen vermeidbar, die in einen normalen Arbeitsalltag nicht integrierbar sind, ist dies nicht zumutbar. Ebenso dann, wenn die Fortsetzung der Tätigkeit zwar praktisch möglich ist, jedoch nicht zumutbar ist, ist die Feststellung der Berufsunfähigkeit gerechtfertigt.
Rz. 90
Auch das Eingehen von gesundheitlichen Risiken bei der Berufsausübung kann zur Unzumutbarkeit führen. Es ist eine Abwägung aller Umstände erforderlich. Nicht jede abstrakt erhöhte Gefahr bei der Berufsausübung führt zur Unzumutbarkeit.
Beispiel
Die Marcumar-Therapie eines Facharbeiters für Schweißtechnik, der auch auf Leitern in bis zu sechs Metern Höhe arbeitet, führt zwar bei einem Absturz zur erhöhten Gefahr des Verblutens. Bei der erforderlichen Gesamtschau aller Umstände ist die Tätigkeit aber zumutbar, sofern der Grad der Wahrscheinlichkeit für einen konkreten Absturz wegen fehlender Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit gering ist.
Rz. 91
Die Unzumutbarkeit der Berufsausübung muss in jedem Falle einen spezifischen Zusammenhang mit den gerade durch die Tätigkeit verbundenen Gefahren aufweisen. Daher führt ein erhöhtes Risiko dann nicht zur Annahme einer Unzumutbarkeit, wenn das Risiko im Alltag genauso besteht. So können z.B. bei einem Bluthochdruckpatienten auch privat veranlasste Tätigkeiten, wie das Autofahren, zu Stress führen, der sich nachteilig auf die Gesundheit auswirkt.
Rz. 92
Setzt der Versicherte seine Berufstätigkeit fort, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, kann die faktische Weiterausübung des Berufes ein Indiz dafür sein, dass keine Unzumutbarkeit und damit keine Berufsunfähigkeit vorliegt. Da die Bedingungen – anders als in der Krankentagegeldversicherung, die 100 %ige Arbeitsunfähigkeit vorsieht – nicht verlangen, dass die versicherte Person ihren Beruf nicht weiter ausübt, ist grundsätzlich aber nur zu fragen, ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit rechtfertigen, da das Weiterarbeiten auch auf eine entsprechende innere Einstellung des Versicherten zu überobligationsmäßiger Leistung zurückzuführen sein kann.
Rz. 93
Zu beachten ist allerdings, dass sich auch eine überpflichtmäßige Anstrengung erst in einer Gesamtschau aus dem Zusammenwirken mehrerer Umstände ergeben kann, die einzeln für sich allein noch nicht die Schwelle der Zumutbarkeit übersteigen.