Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 399
Es bleibt dem Versicherer überlassen, inwieweit er im Antragsformular schriftliche Fragen nach gefahrerheblichen Umständen stellt. In der Regel wird nach Krankheiten, Beschwerden und Störungen der Gesundheit befragt, häufig auch nach Krankschreibungen bzw. Arbeitsunfähigkeitszeiten und Arztkontakten.
Antragsfragen und der Hinweis auf die Folgen unzutreffender Angaben nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG müssen vom Versicherer stammen, damit dieser wirksam Gestaltungsrechte, wie den Rücktritt, erklären kann. Anderenfalls würde eine spontane Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers wiedereingeführt, der nach neuem VVG nur auf ausdrückliche Fragen des Versicherers zu antworten braucht. Stammen die Fragen aus einer Software, die der Versicherer dem Makler zur Verfügung gestellt hat, handelt es sich um Fragen des Versicherers.
a) Auslegung von Antragsfragen
Rz. 400
Maßgebend für die Auslegung der Antragsfragen ist das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Zu fragen ist deshalb, wie dieser bei aufmerksamer Durchsicht und verständiger Würdigung die gewählte Formulierung unter Berücksichtigung ihres dabei erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss – auch wenn es sich nicht um AGB bzw. AVB handelt.
Hinweis
Häufig sind die Antragsfragen relativ allgemein gehalten und/oder auslegungsbedürftig, so dass in jedem Einzelfall eine Prüfung dahingehend erfolgen muss, ob und inwieweit auf eine Frage eine Anzeige hätte erfolgen müssen. Sie unterliegen zwar keiner AGB-Kontrolle i.S.d. §§ 305 ff. BGB im engeren Sinne, sind aber wie AGB auszulegen. Unklare Fragen sind grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB zugunsten des Versicherten auszulegen.
Generell sind daher unklare Antragsfragen zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen.
Rz. 401
Beispiele
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Gehört die Frage: "Welche Medikamente nahmen oder nehmen Sie ein?" erkennbar zu dem Gesamtkomplex der Fragen nach "allergischen Haut- und Atemwegserkrankungen" – weil die unmittelbar vorangehende Frage "Wurde eine Desensibilisierungsbehandlung durchgeführt?" lautet und wird kein relevanter Zeitraum abgefragt, ist sie nicht dahingehend zu verstehen, dass sämtliche Medikamente, die jemals eingenommen wurden, hier anzugeben sind. |
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Die Frage "Sind Sie gesund und arbeitsfähig?" darf der Versicherungsnehmer auch dann noch bejahend beantworten, wenn ihm bekannt ist, dass sein Blutdruck grenzwertig ist, sofern ihm keine Krankheitsdiagnose genannt worden ist und eine medikamentöse Behandlung nur prophylaktisch erfolgt. |
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Wird gefragt: "Haben oder hatten Sie in den letzten 5 Jahren Beschwerden, Störungen, Krankheiten oder Vergiftungen?", muss der Versicherte nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass hiermit auch psychische Beeinträchtigungen gemeint sind, da diese nicht ohne Weiteres diesen Begriffen zuordnen sind, die klassischerweise eher mit körperlichen Beeinträchtigungen verknüpft werden. |
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Wird nur nach "Krankheiten" gefragt, müssen nur gesicherte Krankheiten von einigem Gewicht, die dem Versicherungsnehmer positiv bekannt sind, angegeben werden; er braucht keine Erkundigungen einzuholen. |
Rz. 402
Wird lediglich ein Strich im Antwortfeld gemacht, so wird dies überwiegend als Verneinung angesehen. Auch ein Offenlassen von Antworten wird in der Rechtsprechung als Verneinung gewertet. Teilweise wird sodann aber von einer Nachfrageobliegenheit des Versicherers ausgegangen (vgl. zu dieser näher unter Rdn 442 ff.).
Rz. 403
Teilweise werden durch Versicherer nur eingeschränkte Antragsfragen gestellt, z.B. lediglich nach aktuell gegebener voller Arbeitsfähigkeit und einer in den letzten 12 Monaten nicht länger als zwei Wochen andauernder Arbeitsunfähigkeit. Auch in einem solchen Fall braucht der Kunde keine weitergehenden spontanen Angaben zu machen. Es ist das Risiko des Versicherers, wenn er im Rahmen der Risikoprüfung bestimmte Informationen nicht abfragt. Der Versicherer kann sich jedoch noch immer auf eine bereits vorvertraglich eingetretene Berufsunfähigkeit berufen.
Rz. 404
Ein der deutschen Sprache nicht ausreichend kundiger Antragsteller muss sich ggf. in Eigeninitiative den Text des Formulars übersetzen lassen. Er kann sich nicht darauf berufen, die Fragen nicht verstanden zu haben. Hat bei Antragsaufnahme ein Dolmetscher mitgewirkt, scheidet eine Berufung auf unzureichende Sprachkenntnisse ohnehin aus.
Es muss von Seiten des Versicherungsvertreters auch nicht nachgefragt werden, ob ein Antragsteller mit ausländischem Hintergrund ihn verstanden hat, wenn der Vertreter den Eindruck hat, verstanden zu werden. Wenn ein Antragsteller dennoch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses einen Dolmetscher benötigt, liegt es an ihm, einen solchen hinzuzuziehen. Eine Entschuldigung der Falschbeantwortung von Antragsfragen liegt bei mangelndem Verständnis nicht vor.