Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 63
In AVB wird häufig eine Dauerhaftigkeit fingiert, wenn der beeinträchtigende Zustand tatsächlich eine bestimmte Zeit angehalten hat (vgl. § 2 Abs. 2 MB BUV/BUZ 22). Hiervon zu unterscheiden ist ein lediglich vorgegebener Prognosezeitraum für die Ermittlung der voraussichtlichen Dauerhaftigkeit (vgl. § 2 Abs. 1 MB BUV/BUZ 22). Fast alle Versicherer haben eine Regelung zur fingierten Berufsunfähigkeit in die Vertragsbedingungen aufgenommen, die für den Versicherten mitunter hilfreich ist, weil er die Dauerhaftigkeit sonst nur schwer nachweisen kann. In der Regel wird in AVB eine dauerhafte Berufsunfähigkeit schon nach einer anhaltenden Beeinträchtigung von sechs Monaten angenommen.
Rz. 64
Eine Klausel wie § 2 Abs. 2 MB BUV/BUZ 22 schafft eine unwiderlegliche Vermutung für die negative Prognose. War der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die er aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausüben kann und die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht und dauert dieser Zustand an, gilt die Fortdauer dieses Zustandes als Berufsunfähigkeit. Die Leistungspflicht des Versicherers beginnt somit sechs Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit für die Folgezeit. Damit bleibt dem Versicherungsnehmer der Nachweis der Prognose i.S.d. § 2 Abs. 1 MB BUV/BUZ 22 erspart.
Beispiel
Ein Personaltrainer, der ganztägig vor Zuhörern agieren, Aktivität ausstrahlen und sein Publikum fesseln muss, ist zu 50 % außerstande, seine berufliche Tätigkeit auszuüben, wenn er nach einer Operation ein Stützkorsett tragen muss und nur noch sitzen und unter andauernden Schmerzen in Form von Lumbalgien dozieren kann. Auch wenn die Verletzungen, die dieser Versicherungsnehmer bei einem Sturz davongetragen hat, nicht so schwerwiegend waren, dass mit ihrer Ausheilung nicht gerechnet werden konnte, so wird doch Berufsunfähigkeit nach einer § 2 Abs. 2 MB BUV/BUZ 22 entsprechenden Klausel unwiderleglich vermutet, wenn der Versicherungsnehmer sechs Monate lang aus den vorgenannten Gründen nicht in der Lage war, mindestens 50 % seiner beruflichen Tätigkeit – oder einer Vergleichstätigkeit – auszuüben und dieser Zustand weiterhin fortbesteht.
Rz. 65
In den Musterbedingungen 2022, wie auch vielen anderen AVB werden sowohl der Nachweis der negativen Prognose (§ 2 Abs. 1 MB BUV/BUZ 22) als auch die Fiktion nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums der gesundheitlichen Beeinträchtigung (§ 2 Abs. 2 MB BUV/BUZ 22) nebeneinander zugelassen. Dem Versicherungsnehmer steht es also offen, auf welche Modalität er sich berufen möchte. Denkbar ist auch, dass er sich auf beide beruft, ggf. in einem Hilfsverhältnis.
Rz. 66
Ersetzt wird durch § 2 Abs. 2 MB BUV/BUZ 22 nur die Prognose der Dauerhaftigkeit der Berufsunfähigkeit. Der Nachweis der Berufsunfähigkeit selbst für den in den AVB geforderten Zeitraum ist erforderlich, um die Fiktionswirkung eingreifen zu lassen. Wird der Eintritt der Berufsunfähigkeit fingiert, hat der Versicherungsnehmer gleichwohl noch nachzuweisen, dass der maßgebliche Gesundheitszustand gemäß den Voraussetzungen der Fiktion in den AVB fortbesteht. Gelingt ihm dies, ist der Versicherungsfall eingetreten und der Versicherer muss den späteren Wegfalls der Leistungspflicht nach den Regeln des Nachprüfungsverfahrens darlegen und beweisen.
Rz. 67
War der Versicherte während des bedingungsgemäßen Fiktionszeitraums arbeitsunfähig erkrankt, so ist dies lediglich ein erstes Indiz dafür, dass er seit der Krankschreibung außerstande war, seinen Beruf oder eine Vergleichstätigkeit auszuüben. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht mit Berufsunfähigkeit gleichzusetzten, da erstere dem Grunde nach ein vorübergehender Zustand ist. Mit der Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allein, kann zudem weder der Nachweis bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit geführt werden, noch der der Berufsunfähigkeit.
Rz. 68
Der Nachteil der Fiktion der Dauerhaftigkeit i.S.d. § 2 Abs. 2 MB BUV/BUZ 22 ist jedoch, dass der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente erst nach Ablauf des vorgegebenen Fiktionszeitraums entsteht, also z.B. erst, wenn die bedingungsgemäßen sechs Monate verstrichen sind und der Zustand fortdauert. Die Leistungspflicht des Versicherers beginnt damit erst nach Ablauf der Frist, nach der die Berufsunfähigkeit vermutet wird. Sehen AVB hingegen vor, dass Berufsunfähigkeit vorliegt, wenn die versicherte Person voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen krankheitsbedingt außerstande sein wird, ihren Beruf auszuüben, so tritt der Versicherungsfall zu dem Zeitpunkt ein, zu dem diese Prognose erstmals gestellt werden kann – ungeachtet, ob nach Ablauf dieser Frist eine Heilung erwartet werden kann.
Die Leistungspflicht des Versicherers beginnt also im Fall der fingierten Berufsunfähigkeit nach einigen AVB erst sechs Monate na...