Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 472
Die arglistige Täuschung setzt zunächst objektiv eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Die Täuschungshandlung verlangt einerseits, dass der Täuschende die Unrichtigkeit der irreführenden Angaben kennt und den Willen hat, durch seine Erklärungen bzw. das Unterlassen der Aufklärung über den wahren Sachverhalt einen Irrtum zu erregen oder aufrecht zu erhalten, wobei bedingter Vorsatz genügt. Selbst bei gutem Glauben im Hinblick auf die Richtigkeit der eigenen Angaben kann Arglist vorliegen, wenn der Erklärende "ins Blaue hinein" objektiv unrichtige Angaben macht, ohne offen zu legen, dass es ihm an einer zuverlässigen Beurteilungsgrundlage fehlt.
Rz. 473
Im Einzelfall ist bei bereits diagnostizierten schweren chronischen Erkrankungen auch eine Täuschung über gefahrerhebliche Umstände möglich, wenn hiernach bei Vertragsschluss nicht ausdrücklich gefragt wurde; der Antragsteller kann nach Treu und Glauben verpflichtet sein, diese zu offenbaren, da er nicht davon ausgehen kann, dass der Versicherer bereit ist, den Vertrag trotz der Erkrankung zu denselben Konditionen abzuschließen.
Rz. 474
Zur Annahme von Arglist ist mehr erforderlich, als ein bloß vorsätzliches Verschweigen gefahrerheblicher Umstände. Falsche Angaben im Versicherungsantrag für sich allein lassen noch keinen Schluss auf eine arglistige Täuschung zu, da es keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend gibt, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und ausschließlich mit dem Vorsatz erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken. Unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand oder die Nichtangabe von Arztbesuchen können zwar vorsätzlich erfolgen, etwa aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass auch auf den Willen des Versicherers eingewirkt werden sollte und eine Täuschung des Versicherers billigend in Kauf genommen wurde.
Rz. 475
Allerdings ist zur Annahme von Arglist keine (betrügerische) Absicht nötig. Der Versicherungsnehmer muss lediglich vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt. In subjektiver Hinsicht muss der Versicherungsnehmer erkennen und zumindest billigen, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu erschwerten Bedingungen angenommen hätte. Es genügt, wenn der Versicherungsnehmer es zumindest für möglich gehalten und damit gerechnet hat, der Versicherer werde die nicht offenbarten Umstände in seine Risikoprüfung einbeziehen, was zu einer Einschränkung des Versicherungsschutzes führen könne. Erforderlich aber auch ausreichend ist insofern ein bedingter Vorsatz des Versicherungsnehmers.
Rz. 476
Eingetreten ist die Täuschung, wenn der Versicherer – im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Versichersicherungsnehmers – das Risiko übernommen und den Versicherungsvertrag abgeschlossen hat. Die Täuschung des Versicherungsnehmers muss also für die Annahme des Versicherungsantrags durch den Versicherer ursächlich gewesen sein. Der Versicherer muss dies darlegen und ggf. nachweisen, was durch Offenlegung seiner Risikoprüfungsgrundsätze oder auch Vorgaben seines Rückversicherers geschehen kann. Ein Versicherungsnehmer wird – da es sich um interne Vorgänge des Versicherers handelt – praktisch kaum die Möglichkeit haben, diesem Vortrag einen eigenen ausreichenden Sachvortrag entgegenzusetzten.
Beispiel
Die arglistige Täuschung ist für die Entschließung des Versicherers zum Abschluss einer BUV/BUZ als nachweislich ursächlich anzusehen, wenn dieser unter Vorlage von Auszügen aus der von ihm verwendeten Tarifierungssoftware im Einzelnen darlegt, dass er bei Kenntnis des Beckenschiefstandes und der Skoliose des Versicherten den Versicherungsvertrag nur mit einer entsprechenden Ausschlussklausel geschlossen und er bei Kenntnis der rezidivierenden depressiven Störungen ein Vertragsschluss sogar ganz abgelehnt hätte. Diesem Vortrag müsste der Versicherungsnehmer substantiiert entgegentreten.
Rz. 477
Es ist unerheblich, ob sich im später eingetreten Versicherungsfall das Risiko der Täuschung verwirklicht hat. Ob sich die Täuschung auf den Eintritt eines potentiellen Versicherungsfalles kausal ausgewirkt hätte, ist unbeachtlich, weil § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB allein die Willensfreiheit des Getäuschten schützt. Das Kausalitätserfordernis bezieht sich einzig auf die Annahmeentscheidung des Versicherers, nicht auch auf den Versicherungsfall. Auch ein Kausalitätsgegenbeweis ist dem Versicherungsnehmer im Rahmen der Arglistanfechtung des Versicherers nicht eröffnet.
Rz. 478
Eine Anfechtung ist daher auch aus anderen Gründen als der Täuschung über gefahrerhebliche Umstände i.S.d. § 19...