Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 142
Der BGH hatte in einem sehr interessanten Fall jüngst im Februar 2022 zu entscheiden, ob bzw. zu wann eine vorgenommene Zustellung wirksam erfolgt ist und ob bzw. wann damit die Frist für den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil zu laufen begonnen hatte. Im Hinblick auf die Vielschichtigkeit dieser zu einer beA-Zustellung ergangenen Entscheidung wird auf sie im Nachfolgenden ausführlich eingegangen.
Rz. 143
Der Fall:
In einem Verfahren auf Herausgabe eines Pkws, hilfsweise Zahlung, erging antragsgemäß ein Versäumnisurteil, mit dem der Klage stattgegeben worden war. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten wurde vom Gericht ein als "Abschrift des Protokolls vom 4.5.2020" bezeichnetes Dokument mit eEB-Anforderung an sein beA übermittelt; am 11.5.2020 sandte der Prozessbevollmächtigte das entsprechende elektronische Empfangsbekenntnis zurück. Am 9.6.2020 erfolgte eine Erklärung des Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Landgericht, dass allein durch die Übersendung des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils erfolgt sei; daraufhin wurde ihm am 10.6.2020 eine beglaubigte Abschrift des Protokolls zugestellt. Am 18.6.2020 wurde gegen dieses Versäumnisurteil Einspruch eingelegt, das vom Landgericht aufgrund Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen wurde. Das Oberlandesgericht wies die hiergegen eingelegte Berufung zurück. Die Revision wurde zugelassen und eingelegt, sodass der BGH schließlich über die Sache zu entscheiden hatte.
Rz. 144
Die Entscheidung:
Der BGH hielt in seinem Leitsatz fest, dass der Zustellungsmangel (Zustellung nur einer einfachen, nicht beglaubigten Abschrift) geheilt wurde, weil die Übermittlung vom Gerichts-EGVP in ein beA erfolgte.
Zitat
"Wird einer Partei entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO statt einer beglaubigten Abschrift lediglich eine einfache Abschrift des Urteils zugestellt, wird der darin liegende Zustellungsmangel geheilt, wenn keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen. Das ist jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das besondere elektronische Anwaltspostfach des Rechtsanwaltes der Partei anzunehmen."
Rz. 145
Die Begründung:
Der Entscheidungsbegründung ist in vielfacher Hinsicht höchst interessant. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dass das Landgericht den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen hätte, da die Frist des § 339 Abs. 1 ZPO nicht eingehalten worden sei. Das Versäumnisurteil sei darüber hinaus wirksam, auch wenn es entgegen § 310 Abs. 1 S. 1 ZPO außerhalb der mündlichen Verhandlung verkündet worden sei. Mit der Zustellung des im Protokoll enthaltenen Urteils habe am 11.5.2020 die Einspruchsfrist zu laufen begonnen. Weiter wurde die Ansicht vertreten, dass zwar verfahrensfehlerhaft lediglich eine einfache Protokollabschrift entgegen § 317 Abs. 1, § 169 Abs. 2 S. 1 ZPO übermittelt wurde; eine Heilung jedoch nach § 189 ZPO eingetreten sei. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift seien hiermit auch die Mängel einer Zustellung von Urteilen geheilt. Aufgrund der Zustellung an das beA des Prozessbevollmächtigten habe dieser an der Authentizität und Amtlichkeit des Urteils nicht zweifeln können, sodass auch diese Mängel einer Heilung nicht entgegenstünden. Aufgrund des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten der Partei sei eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht nicht zu gewähren.
Rz. 146
Der BGH schließt sich diesen Ausführungen an. Nach seiner Auffassung ist der Einspruch gegen das Versäumnisurteil nicht innerhalb der Frist des § 339 Abs. 1 ZPO eingelegt worden und daher gem. § 341 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Zustellung sei mit der Abgabe des Empfangsbekenntnisses mit Datum vom 11.5.2020 erfolgt und mit diesem Datum auch die zweiwöchige Einspruchsfrist in Lauf gesetzt worden, die am 25.5.2020 endete. Der BGH verweist zwar darauf, dass ein Urteil grundsätzlich erst durch seine "förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent"“ würde und vorher lediglich ein allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender Entscheidungsentwurf vorliege, der eine Einspruchsfrist grundsätzlich nicht in Lauf setzen kann. Vorliegend sei das Versäumnisurteil jedoch wirksam verkündet worden, wobei die Verkündung eines Urteils grundsätzlich gem. § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Verlesen der Urteilsformel erfolge. Sofern bei der Verkündung eines Urteils keine der Parteien erscheint, kann die Verlesung nach § 311 Abs. 2 S. 2 ZPO durch Bezugnahme auf die schriftliche Urteilsformel ersetzt werden. Zudem können Versäumnis-, Anerkenntnis- und Verzichtsurteile sowie Urteile, die die Folgen der Zurücknahme der Klage aussprechen, gem. § 311 Abs. 2 S. 3 ZPO verkündet werden, auch wenn die Urteilsformel noch nicht schriftlich abgefasst ist; in diesem Fall erfordert die Verkündung dann lediglich die mündliche Mitteilung der Urteilsformel; bei Stattgabe einer Klage bei Versäumnis-, Anerkenntnis- ...