Rz. 61
Die Qualifikation der Pflicht zur Rechnungslegung, der Führung der Handelsbücher, der Erstellung des Jahresabschlusses einschließlich der Abschlussprüfung und Rechnungspublizität ist umstritten. Teilweise verweist man auf die öffentlichen Interessen, die diesen Vorschriften zugrunde lägen, und geht daher von einer öffentlich-rechtlichen Qualifikation aus. Die Folge sei, dass im Hinblick auf inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften die Vorschriften in §§ 238 ff. HGB Anwendung fänden. Die Gegenauffassung qualifiziert die hiermit zusammenhängenden Fragen gesellschaftsrechtlich. Die Bestimmungen des HGB sind danach nur dann anwendbar, wenn und soweit die Gesellschaft deutschem Gesellschaftsstatut unterliegt.
Hinweis
Die praktische Bedeutung dieses Streits hält sich in Grenzen: § 325a Abs. 1 Satz 1 HGB bestimmt ausdrücklich, dass bei einer im Inland gelegenen Zweigniederlassung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU die nach dem für die Hauptniederlassung maßgeblichen Recht erstellten Unterlagen der Rechnungslegung zum Handelsregister der Zweigniederlassung vorzulegen sind. Diese Regelung geht auf Art. 9 der Zweigniederlassungsrichtlinie (Elfte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie) zurück. Hieraus ergibt sich, dass bei einer Zweigniederlassung im Inland die Rechnungslegung für die Zweigniederlassung nicht zusätzlich nach den im Zweigniederlassungsstaat geltenden Regeln erfolgen muss. Es ist ausreichend, dass Rechnungslegung, Prüfung und Offenlegung nach dem Recht am Sitz der Hauptniederlassung erfolgt sind. Nur die zusätzliche Publizität bestimmt sich nach dem im Zweigniederlassungsstaat geltenden Recht. Die Erstellung eines Jahresabschlusses nach deutschem Recht kann also nicht verlangt werden.
Rz. 62
Die Unterlagen müssen nicht unbedingt übersetzt werden. Es genügt, dass sie in englischer Sprache eingereicht werden. Ist die Abschrift vom Register der Hauptniederlassung amtlich beglaubigt, so genügt die deutsche Übersetzung allein des Beglaubigungsvermerks (§ 325a Abs. 1 Satz 5 HGB).
Diese Anforderung muss dann auch für die EU-Gesellschaften mit faktischem Inlandssitz gelten, die also ihre faktische Hauptniederlassung im Inland haben, denn spätestens seit den Entscheidungen "Centros" und "Überseering" ist deutlich, dass die inländische faktische Hauptniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Kapitalgesellschaft als Zweigniederlassung i.S.d. Zweigniederlassungsrichtlinie zu behandeln ist.
Die Frage nach der öffentlich-rechtlichen bzw. gesellschaftsrechtlichen Qualifikation bleibt damit nur für solche Fälle von Bedeutung, in denen die Gesellschaft weder der EU noch dem EWR angehört.