Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 895
Grundlage für die Beurteilung der Selbstständigkeit oder Unselbstständigkeit sind in erster Linie nicht die Bezeichnung als freier Mitarbeiter im Vertrag oder die Vertragsgestaltung, die die Parteien gewählt haben, oder die im Vertrag möglicherweise bezeichnete und gewünschte Rechtsfolge, sondern die tatsächlichen Umstände der Leistungserbringung (§ 611a Abs. 1 S. 6 BGB). Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben (LSG Baden-Württemberg v. 13.9.2016 – L 4 R 2120/15 ZVW). Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Dieser folgt aus den getroffenen Vereinbarungen und der tatsächlichen Durchführung des Vertrages, ob also die Verträge tatsächlich so wie vereinbart "gelebt" werden (vgl. BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R; BSG v. 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R). Aus der praktischen Handhabung lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind. Maßgeblich ist damit die tatsächliche Durchführung, soweit diese von der Darstellung im Vertrag abweicht (vgl. BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R; LSG Berlin-Brandenburg v. 15.2.2008 – L 1 KR 276/06, LNR 2008, 12106; BSG v. 22.6.2005 – B 12 KR 28/03 R, NZS 2006, 318 = GmbHR 2005, R275; grundlegend BSG v. 13.7.1978, Die Beiträge 1979, 343 = AP Nr. 29 zu § 611 BGB Abhängigkeit sowie BSG v. 28.1.1999 – B 3 KR 2/98 R, BB 1999, 1662).
Rz. 896
So ist ein Fuhrleistungen erbringender Kraftfahrer, der ein Gewerbe zur Führung von Güterkraftverkehrsgeschäften angemeldet hat und als Subunternehmer Transporte für Betonwerke übernimmt, nicht selbstständig tätig, wenn er seine Tätigkeit faktisch in enger persönlicher Abhängigkeit vom Auftraggeber ausübt und sich die praktizierte Vertragsgestaltung, wonach der Auftraggeber das in seinem Eigentum stehende Fahrzeug vermietet, lediglich als Gestaltungsmittel darstellt, um Leistungen, die an sich nur im Rahmen einer engen Einbindung in die Betriebsorganisation sinnvoll erbracht werden können, als im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit geleistet erscheinen zu lassen (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 14.10.2005 – L 4 KR 2083/03). Der Einsatz eines eigenen Fahrzeugs allein (Pkw) begründet keine selbstständige Tätigkeit. Allein die Nutzung eines eigenen Fahrzeugs stellt kein unternehmerisches Risiko dar, wenn nicht die Möglichkeit besteht, durch mehr Einsatz höhere Gewinne zu erzielen. Dies gilt insbesondere, wenn das Auto in der von der Firma bestimmten Farbe lackiert sein und auch das Firmenlogo tragen muss (vgl. LSG Hessen v. 21.12.2016 – L 1 KR 57/16).