Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 882
Entscheidend für die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung bleiben im Ergebnis die von der Rspr. der Sozialgerichtsbarkeit entwickelten Kriterien. Arbeitnehmer i.S.d. Sozialversicherungsrechtes (= Beschäftigter) ist danach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG v. 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R, juris Rn 21; BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18, juris Rn 13; BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Rn 14; BSG v. 14.3.2018 – B 12 KR 12/17 R, juris; BSG v. 26.9.2017 – B 1 KR 31/16 R; BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R; BSG v. 14.3.2016 – B 12 KR 20/14 R; BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R). Persönliche Abhängigkeit erfordert "Eingliederung" in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung (vgl. BSG in ständiger Rspr.: BSG v. 27.4.2021 – B 12 R 16/19 R, juris Rn 13; BSG v. 4.9.2018 – B 12 KR 11/17 R mit ausführlicher Anmerkung von Reiserer, DStR 2019, 1006; BSG v. 28.9.2011 – B 12 R 17/09 R, nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung; BSG v. 22.6.2005, NZS 2006, 318 = GmbHR 2005, R 275; BSG v. 25.1.2006, GmbHR 2006, 1607; LSG Hessen v. 17.12.2009 – L 8 KR 130/07, Berater im Entwicklungsdienst; LSG Hessen v. 17.12.2009 – L 8 KR 245/07, Betontransport).
Rz. 883
Praxishinweis zum Merkmal der "Eingliederung"
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Das in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV für die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung enthaltene Merkmal der Eingliederung ist in der Definition des § 611a BGB, die seit 1.4.2017 für das Arbeitsrecht gilt, nicht genannt. |
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Damit hat der Gesetzgeber bewusst von einer Vereinheitlichung der Definitionen abgesehen. |
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Diese (kaum nachvollziehbare) Unterschiedlichkeit im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht durch den Gesetzgeber hat zu Recht zu Irritationen geführt. |
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Das BSG musste dies klären, mit folgendem Ergebnis: Das Merkmal der Eingliederung für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV steht nicht infrage (vgl. BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 10/18 R, juris Rn 34; BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 2/18 R, juris Rn 25). |
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Dies unterstreicht, dass die Definitionen im Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht nicht deckungsgleich sind. |
Rz. 884
Die Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Bei den "Diensten höherer Art" wird heute auch von "Hochqualifizierten" oder "Spezialisten" gesprochen (vgl. Sächsisches LSG v. 8.9.2022 – L 9 KR 83/16, juris Rn 62). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG v. 4.7.2022 – B 12 R 35/21 B, juris Rn 10; BSG v. 28.6.2022 – B 12 R 3/20 R, juris Rn 11; BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18, juris Rn 13 Honorarpflegekraft; BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Honorararzt).
Rz. 885
Für die Frage einer weisungsabhängigen Beschäftigung i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV kommt es nur auf die rechtliche Möglichkeit im (gedachten) Konfliktfall an (vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 17.5.2017 – L 1 KR 118/16 Operateur im Krankenhaus; s. vertiefend unten Berufsgruppenlexikon Arzt Rdn 1079 ff.). Das Innehaben der diesbezüglichen Rechtsmacht entspricht insbesondere der jüngeren Rechtsprechung des BSG, in der die Maßgeblichkeit von Rechtsmacht gegenüber bloß rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten betont wird (vgl. BSG v. 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R; LSG Baden-Württemberg v. 13.9.2016 – L 4 R 2120/15 ZVW). Ein fachliches Weisungsrecht spricht bei der Statusfeststellung im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung für das Vorliegen von Beschäftigung und gegen eine selbstständige Tätigkeit (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 20.7.2017 – L 10 R 91/17 Pflegekraft). Wird ein Mitarbeiter erst durch eine Ausbildung, Prüfung und Lizenzierung vom Auftraggeber in die Lage versetzt, den Auftrag zu übernehmen, ist dies ein gewichtiges Merkmal für eine abhängige Beschäftigung, da von einer der Tätigkeit vorgelagerten fachlichen Weisung auszugehen ist (vgl. LSG Bayern v. 16.5.2018 – L 16 R 5110/16).
Rz. 886
Bei Diensten höherer Art kann es ausreichen, dass der Mitarbeiter funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess des Arbeitgebers teilhat – sog. "zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinertes Weisungsrecht" (vgl. BSG v. 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R, juris Rn 31 Notarzt; LSG Baden-Württemberg v. 23. 11. 2016 – L 5 R 1176/15, juris Zahnarzt in Gemeinschaftspraxis; LSG Baden-Württemberg v. 27.4.2016 – L 5 R 1753/15 juris; LSG Niedersachsen-Bremen v. 29.4.2014 – L 2 R 142/13, juris Rn 62 funktionsgerecht ...