Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 891
Die selbstständige Tätigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass der Tätige über seine eigene Arbeitskraft und die Arbeitszeit verfügt, eine eigenen Betriebsstätte vorhanden ist und er insbesondere das Unternehmerrisiko trägt (vgl. BSG v. 29.6.2021 – B 12 R 8/19 R, juris Rn 11; BSG v. 23.2.2021 – B 12 R 15/19 R, juris; BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rn 13; BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R; LSG NRW v. 6.9.2007 – L 16 [14] R 102/05, LNR 2007, 48388; LSG NRW v. 2.2.2006 – L 16 KR 253/04, n.v.). Das Unternehmerrisiko besteht (regelmäßig) in der Gefahr, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens das eingesetzte Kapital (ganz) zu verlieren oder mit ihm (nur) Verluste zu erwirtschaften; ihm entspricht die Aussicht auf Gewinn, wenn das Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg hat. Abhängig Beschäftigte tragen demgegenüber das Arbeitsplatzrisiko, das in der Gefahr besteht, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens die Arbeitsstelle einzubüßen. Das für eine selbstständige Tätigkeit typische Unternehmerrisiko ist nicht mit einem Kapitalrisiko gleichzusetzen. Ein Kapitalrisiko, das nur zu geringen Ausfällen führt, wird das tatsächliche Gesamtbild einer Beschäftigung nicht wesentlich bestimmen. Maßgebendes Kriterium für das Vorliegen eines Unternehmerrisikos ist, dass eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen. Es ist also zwischen Unternehmer- und Arbeitsplatzrisiko als wichtigem, vielfach entscheidendem Kriterium für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung einer Tätigkeit zu unterscheiden (vgl. LSG Baden-Württemberg v. 27.4.2016 – L 5 R 1753/15 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG).
Rz. 892
Weitere Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit sind das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit (vgl. LSG Nds.-Bremen v. 30.11.2005 – L 4 KR 7/04, LNR 2005, 25577). Bei reinen Dienstleistungen, die im Wesentlichen nur Know-how sowie Arbeitszeit-und Arbeitsaufwand voraussetzen, ist unternehmerisches Tätigwerden nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte oder Arbeitsmaterialien verbunden. Das Fehlen solcher Investitionen ist damit bei reinen Dienstleistungen kein ins Gewicht fallendes Indiz für eine (abhängige) Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden. Die Abgrenzung hängt letztendlich davon ab, welche Merkmale überwiegen bzw. prägen (vgl. BSG v. 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R, juris Rn 21; BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rn 13; BSG v. 26.9.2017 – B 1 KR 31/16 R; BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R; BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R; BSG v. 25.1.2006 – B 12 KR 30/04 R, GmbHR 2006, 645; BSG v. 28.1.1999, BB 1999, 1662; BSG v. 21.4.1993, NJW 1994, 341 = AP Nr. 67 zu § 611 BGB Abhängigkeit; vgl. ferner zur Abgrenzung die sozialversicherungsrechtliche Checkliste unten Rdn 912).