Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 853
Die Gerichte für Arbeitssachen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG. Gem. § 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG sind Arbeitnehmer, Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. § 5 Abs. 1 ArbGG liegt der allgemeine nationale Arbeitnehmerbegriff zugrunde (vgl. BAG v. 3.11.2020 – 9 AZB 47/20, juris Rn 11; BAG v. 9.4.2019 – 9 AZB 2/19, juris Rn 16).
Rz. 854
Die Fallgruppen "sic non", "aut aut" und "et et" hat die Rechtsprechung in Hinblick auf die Frage entwickelt, welche Anforderungen an das klägerische Vorbringen zur Begründung der Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen in Abgrenzung zu den ordentlichen Gerichten zu stellen sind (vgl. BAG v. 3.11.2020 – 9 AZB 47/20, juris Rn 13; BAG v. 21.1.2019 – 9 AZB 23/18, juris Rn 20).
Rz. 855
In den sic-non-Fällen kann der eingeklagte Anspruch ausschließlich auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden, deren Prüfung gem. § 2 ArbGG in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fällt (BAG v. 3.11.2020 – 9 AZB 47/20, juris Rn 13; BAG v. 24.4.2018 – 9 AZB 62/17, juris Rn 14). Der Rechtsweg zu den ArbG ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG eröffnet, wenn sich der geltend gemachte Anspruch nur aus einem als Arbeitsverhältnis zu qualifizierenden Rechtsverhältnis ergeben kann (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 28.11.2011 – 11 Ta 237/11 Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis). Für die Entscheidung über den Antrag "festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis seit dem … bestanden hat" (Status-Klage), ist der Rechtsweg zu den ArbG gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG auch dann gegeben, wenn der Kläger seine Rechtsbehauptung nicht hinreichend substantiiert oder diese sich als falsch herausstellt (vgl. LAG Köln v. 3.1.1996 – 13 Ta 179/95, NZA 1996, 1344 = MDR 1996, 721; BAG v. 21.5.1996 – 5 AZB 36/94, n.v. Rechtsstreitigkeit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses). Es reicht die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, zur Bejahung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit aus, wenn die vor dem ArbG in einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit erhobene Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist (vgl. BAG v. 9.4.2019 – 9 AZB 2/19, juris Rn 12; BAG v. 11.6.2003 – 5 AZB 43/02). In diesen Fällen sind die Tatsachenbehauptungen "doppelrelevant", nämlich sowohl für die Rechtswegzuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage (sog. sic-non-Fall; vgl. BAG v. 1.8.2017 – 9 AZB 45/17, juris Rn 19 sog. doppelrelevante Tatsachen bei einer einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage; BAG v. 23.8.2001, DB 2001, 2660).
Rz. 856
Kommen dagegen für einen Anspruch sowohl arbeitsrechtliche als auch bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht, kann die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nicht begründen (vgl. BAG v. 3.11.2020 – 9 AZB 47/20, juris Rn 13 unter Bezug auf BAG v. 31.8.1998 – 5 AZB 21/98 unter II 2 a der Gründe). In einem sog. "aut-aut-Fall", in dem der Kläger die Klageforderung aus einem Rechtsverhältnis herleitet, dass er für ein Arbeitsverhältnis, die Beklagte dagegen für das Rechtsverhältnis eines weisungsfrei tätigen Handelsvertreters hält, ist ebenso wie in einem sog. "et-et-Fall" (zur Abgrenzung siehe BAG v. 24.4.1996 – 5 AZB 25/95, zu B II 3b und c der Gründe) für die Beurteilung, ob der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fällt, nicht allein auf das Klägervorbringen abzustellen. Bestreitet die beklagte Partei tatsächliche Umstände, die für die rechtliche Einordnung des Rechtsverhältnisses von Bedeutung sind, hat das zur Entscheidung berufene Gericht die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen ggf. im Wege der Beweisaufnahme festzustellen (vgl. BAG v. 3.11.2020 – 9 AZB 47/20, juris Rn 15; kritisch Spielberger, NJW 2012, 805; vgl. ferner zu den Fallgruppen sic-non, et-et und aut-aut bereits BAG v. 24.4.1996 – 5 AZB 25/95, DB 1996, 1578 = NJW 1996, 2948, sowie BAG v. 23.7.1997 – 7 AZB 29/96, n.v.).
Rz. 857
Wehrt sich bspw. die aufgrund eines Pachtvertrages tätige Betreiberin einer Bäckerei-Verkaufsstelle gegen die fristlose Kündigung ihres Vertragsverhältnisses mit dem Antrag festzustellen, dass diese unwirksam ist und nicht zu einer Beendigung ihres "Arbeitsverhältnisses" geführt hat, handelt es sich um einen "sic-non-Fall" i.S.d. Rspr. des 5. Senats, für den der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist (vgl. BAG v. 17.1.2001 – 5 AZB 18/00, NJW 2001, 1374 = NZA 2001, 341). Kommen als Anspruchsgrundlage eines Vergütungsanspruchs sowohl die Tätigkeit als freier Mitarbeiter als auch ein Arbeitsverhältnis in Betracht (aut-aut-Fall), hat das Gericht i.R.d. Rechtswegzuständigkeit zu prüfen, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer Arbeitnehmereigenschaft oder ...