Rz. 346

Grds. hat sich in der Rspr. (BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 242/11, juris; BAG v. 23.5.2001 – 5 AZR 527/99; BAG v. 22.3.1989 – 5 AZR 151/88; vgl. auch Brors, RdA 2004, 273; eher krit.: Hümmerich, NJW 2006, 2294) im Zusammenhang mit der Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138 BGB die Tendenz herausgebildet, dass ca. ⅔ des (tarif-)üblichen Entgeltes als im Verhältnis zwischen Gesamtlohn und flexibler Vergütung nicht zu unterschreitendes Minimum zu betrachten sind und dieses Minimum nicht Gegenstand von Zielvereinbarungen sein kann. Allerdings hat das BAG auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keine verbindlichen Grenzwerte gibt (BAG v. 23.5.2001 – 5 AZR 527/99). Eine völlige Variabilisierung des Entgelts ist nicht zulässig. Dem Arbeitnehmer muss es immer möglich sein, eine angemessene Vergütung zu verdienen. Nicht mehr angemessen ist eine Vergütung, die nach der Rechtsprechung sittenwidrig, bei Tarifbindung untertariflich oder unterhalb des Mindestlohns auf Zeitbasis nach § 1 Abs. 2 MiLoG liegt. In Banken und Versicherungen existieren spezielle Regeln: die Institutionsvergütungsverordnung (IVV) und die Versicherungsvergütungsverordnung (VersVV). Diese Verordnungen sehen für Geschäftsleiter und leitende Angestellte zwingend variable Vergütungsanteile vor, um europarechtlichen Vorgaben an das Risikomanagement zu genügen.

 

Rz. 347

Zielvereinbarungen sind einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB zu unterziehen, wenn sie – was der Regelfall sein wird – vom Arbeitgeber vorformuliert sind. Selbst wenn sie zwischen den Arbeitsvertragsparteien ausgehandelt wurden, muss die Zielvereinbarung dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) entsprechen (BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07). Zielvereinbarungen können gegen die Transparenz- und Unklarheitenregel der §§ 307 Abs. 1 S. 2, 305c BGB verstoßen, wenn sie zu unbestimmt formuliert sind. Weiter kommt ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht, da es sich bei den jährlich neu abzuschließenden Zielvereinbarungen um befristete Vereinbarungen von Arbeitsbedingungen handelt, die nach der Rspr. des BAG einer Wirksamkeitskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB zu unterziehen sind (BAG v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04; vgl. auch BAG v. 18.6.2008 – 7 AZR 245/07). Zu beachten ist ferner § 308 Nr. 4 BGB für den Fall eines vereinbarten Widerrufsvorbehaltes (vgl. hierzu BAG v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04]). Hierzu hat das BAG entschieden, dass eine einseitige Änderung durch den Arbeitgeber nur zuzulassen ist, wenn der Tariflohn nicht unterschritten und nicht mehr als 25 % der Gesamtvergütung betroffen sind. Zwar bezieht sich das Urteil unmittelbar nur auf nachträgliche Leistungsänderungen und nicht auf die von vornherein verabredete Vergütungsvariabilität. Aufgrund des Ansatzes der AGB-Rechtskontrolle und der vergleichbaren Interessenlage lassen sich hieraus Wertungskriterien für den Vergütungsraum, der für Zielvereinbarungen offensteht, gewinnen (vgl. auch BAG v. 20.4.2011 – 5 AZR 191/10). Einseitige Leistungsbestimmungsrechte i.S.d. §§ 315 ff. BGB fallen jedoch nicht unter § 308 Nr. 4 BGB, wenn sie darauf beschränkt sind, dem Verwender die erstmalige Festlegung seiner Leistung zu ermöglichen (BAG v. 29.8.2012 – 10 AZR 385/11). Daher ist es zulässig, die spätere Zielerreichung durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen feststellen zu lassen. Dies ist für den reinen Zielbonus ebenso zulässig, wie für gemischte Bonus/Tantieme-Zahlungen, so z.B. im Fall einer in die Bankenkrise geratenen Bank, den das BAG zu entscheiden hatte (BAG v. 19.3.2014 – 10 AZR 622/13). Nach der Rechtsprechung sind zudem Stichtagsklauseln in Bonusregelungen unwirksam, wenn davon (auch) die Vergütung als Gegenleistung für bereits erbrachte Arbeitsleistung berührt ist. Dies gilt sowohl für arbeitsvertragliche Klauseln, da diese den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen (BAG v. 14.11.2012 – 10 AZR 783/11, vgl. auch LAG Baden-Württemberg v. 22.10.2021 – 9 Sa 19/21), wie auch für Stichtagsregelungen in freiwilligen Betriebsvereinbarungen (BAG v. 5.7.2011 – 1 AZR 94/10; BAG v. 7.6.2011 – 1 AZR 807/09; vgl. auch LAG Köln v. 23.8.2018 – 7 Sa 470/17). Für den Fall des unterjährigen Ausscheidens bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer einen pro-rata-temporis-Anspruch hat, der sich an den bis zum Ausscheidenszeitpunkt erreichten Zielen bemisst. Dies gilt auch dann, wenn die Klausel hierzu keine Regelung trifft oder gar positiv das Gegenteil anordnet, also einen Anspruch an die Tätigkeit im gesamten Zielvereinbarungszeitraum voraussetzt, denn dies ist eine unzulässige Stichtagsklausel.

Eine Auslegungs- und Ergänzungsfrage im Sinne von § 313 BGB ist auch der häufige Fall des Wegfalls oder der Änderung der Ziele im Laufe des maßgeblichen Zielerreichungszeitraumes. Solche Störungen der Zielplanung können aus verschiedenen Gründen eintreten: Seien es autonome Entscheidungen des Arbeitgebers, um neue Strategien zu verfolgen oder um auf externe Einflüsse zu reagieren; seien es Konzernweisungen der Ob...

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