Dr. Martin Feick, Lisa Hammes
Rz. 24
Wird Vermögen unter Nießbrauchsvorbehalt unter Lebenden übertragen, wird der Nießbrauch nicht als übernommene Gegenleistung des Beschenkten angesehen und dementsprechend auch nicht ein teilentgeltliches Geschäft angenommen. Es handelt sich vielmehr um eine Nutzungs- bzw. Duldungsauflage, die nicht zu den Gegenleistungen zählt. Der Nießbrauch wird mit seinem vollen Kapitalwert als Last von dem Steuerwert der Schenkung abgezogen. Der Kapitalwert errechnet sich aus dem Jahreswert des übergebenen Gegenstandes multipliziert mit einem Faktor, der sich nach der aus den aktuellen Sterbetafeln des statistischen Bundesamtes ermittelten durchschnittlichen Lebenserwartung richtet, §§ 14, 16 BewG und jährlich durch das Bundesfinanzministerium im BStBl. I veröffentlich wird. Zur Verdeutlichung hier folgendes Beispiel:
Beispiel
Der 52-jährige Vater schenkt seiner Tochter ein gewerblich vermietetes Grundstück im Schenkungsteuerwert (= Verkehrswert; der Abschlag nach § 13d ErbStG greift nur bei zu Wohnzwecken vermieteten Immobilien) von 3 Mio. EUR unter Vorbehalt des Nießbrauchs. Die monatlichen Netto-Mieteinnahmen aus dem Grundstück betragen 20.000 EUR.
Steuer ohne Berücksichtigung des Nießbrauchs:
(3.000.000 EUR – 400.000 EUR) x 19 % |
494.000,00 EUR |
Steuer unter Berücksichtigung des Nießbrauchs:
Wert des Grundstücks |
3.000.000,00 EUR |
Kapitalwert des Nießbrauchs |
./. 2.356.290,28 EUR |
Vermögensanfall |
643.709,72 EUR |
Persönlicher Freibetrag |
./. 400.000,00 EUR |
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243.709,72 EUR |
Steuerpflichtiger Erwerb nach Abrundung gemäß § 10 Abs. 1 S. 6 ErbStG |
243.700,00 EUR |
Steuersatz 11 % |
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Zu zahlende Steuer |
26.807,00 EUR |
Durch den Nießbrauch ersparte Steuer |
467.193,00 EUR |
Der erhebliche Steuervorteil, der durch die vollumfängliche Abzugsfähigkeit des kapitalisierten Nießbrauchs entsteht, wird in einzelnen Fällen zu einem kleinen Teil dadurch wieder aufgezehrt, dass bei Schenkungen von Grundstücken unter Nießbrauchsvorbehalt an andere Personen als Abkömmlinge oder den Ehegatten die grunderwerbsteuerliche Befreiung von unentgeltlichen Grundstücksschenkungen nach § 3 Nr. 2 GrEStG nicht mehr zur Anwendbarkeit gelangt, da die Auflage des Nießbrauchs gemäß S. 2 als Entgelt gilt.
Rz. 25
Der Vervielfältiger im zuvor genannten Beispiel beträgt seit dem 1.1.2023 14,609 für einen 52-jährigen männlichen Schenker. Als Jahreswert ist jedoch nicht der jährliche Ertrag der Immobilie i.H.v. 240.000 EUR anzusetzen, sondern der gemäß § 16 BewG zu ermittelnde Höchstwert i.H.v. 161.290,32 EUR (Verkehrswert dividiert durch 18,6). Bei zu Wohnzwecken vermieteten Grundstücken ist darauf zu achten, dass hier wegen des zehnprozentigen Wertabschlags gemäß § 13d Abs. 1 ErbStG auch der Nießbrauch nur mit 90 % seines Kapitalwerts in Ansatz zu bringen ist, § 10 Abs. 6 S. 3 ErbStG.
Rz. 26
Im Zusammenhang mit der Übertragung von Betriebsvermögen i.S.v. § 13b Abs. 1 ErbStG unter Nießbrauchsvorbehalt ist allerdings zu beachten, dass § 13a ErbStG nicht anwendbar ist, wenn eine Beteiligung an einer Personengesellschaft geschenkt wird, an der sich der Schenker den Nießbrauch vorbehält, und der Bedachte dadurch nicht Mitunternehmer der Personengesellschaft wird. An dieser Auffassung hat sich durch die Reform zum 1.1.2016 nichts geändert, so dass die Rechtsprechung zur Notwendigkeit der Mitunternehmerschaft bei Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt auch für die §§ 13a, 13b ErbStG weiterhin von Bedeutung ist. Fehlt die Mitunternehmerstellung des Bedachten erwirbt dieser kein Betriebsvermögen, sondern sonstiges (nicht steuerbegünstigtes) Vermögen.
Rz. 27
Auch das Erlöschen des Nießbrauchs im Todeszeitpunkt des Nießbrauchers erbschaftsteuerlich relevant, sofern der Tod wesentlich vor dem Zeitpunkt eintritt, der anhand der Sterbetafel zugrunde gelegt wurde. § 14 Abs. 2 BewG regelt hier, gestaffelt nach dem Alter des Nießbrauchers, Mindestgrenzen, bei deren Unterschreiten eine Nachversteuerung eintritt. Die Nachversteuerung erfolgt in der Form, dass der über § 14 Abs. 1 BewG in Verbindung mit der statistischen Lebenserwartung ermittelte Kapitalwert des Nießbrauchs mit dem sich aus der wirklichen Dauer ergebenden Kapitalwert nach § 13 Abs. 1 BewG in Vergleich gesetzt wird und die Differenz zwischen den Werten nach § 14 Abs. 1 BewG und § 13 Abs. 1 BewG rückwirkend dem Wert des Schenkungsgegenstandes hinzuaddiert wird. Der vorzeitige lebzeitige unentgeltliche Verzicht auf ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht erfüllt hingegen als Rechtsverzicht den Tatbestand einer freigebigen Zuwendung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, so dass hier eine erneute Steuerfestsetzung und keine Berichtigung eintritt.
Zur Veranschaulichung der Auswirkung des § 14 BewG folgendes Berechnungsbeispiel:
Beispiel
Vater V schenkt seinem Sohn am 1.2.2022 ein Grundstück im Wert von 1.000.000 EUR unter Nießbrauchsvorbehalt. Der Jahreswert des Nießbrauchs beträgt 40.000 EUR. Zum Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung ist V 61 Jahre alt. Am 1.8.2023 verstirbt V.
Zu zahlende Steuer: