Rz. 122
Der Versicherungsfall ist in § 5 I AVB definiert. Demnach entsteht die Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers schon dann, wenn er von Umständen erfährt, die Haftpflichtansprüche gegen ihn auslösen "könnten". Der Anwalt, der sich der Möglichkeit seiner Inanspruchnahme durch den Mandanten ausgesetzt sieht, sollte dies ernst nehmen und die Meldung ggü. dem Versicherer nicht hinauszögern. Es kommt nicht darauf an, ob der Anwalt meint, im Ergebnis werde kein Anspruch des Mandanten bestehen. Verzögert er die Anzeige an den Versicherer, gefährdet er wegen einer Obliegenheitsverletzung seinen Versicherungsschutz. Andererseits hilft es aber auch niemandem, wenn übervorsichtige Anwälte ihre Versicherer mit vorsorglichen Schadenmeldungen geradezu überschütten, indem jede von ihnen befürchtete Ungenauigkeit bei der Arbeit als ein die Meldepflicht auslösendes Ereignis angesehen wird. Ein vernünftiger Umgang mit den Obliegenheiten ist wichtig, um beide Vertragspartner, Versicherer und Versicherungsnehmer, in die Lage zu versetzen, sich auf die wirklich relevanten Fälle zu konzentrieren. Es kann nicht Sinn des weit vorverlagerten Begriffs des Verstoßes und der davon abhängigen Meldeobliegenheit sein, Ungenauigkeiten in der eigenen Arbeit als denkbaren Schaden melden zu müssen, auch wenn eine rein theoretische Möglichkeit besteht, dass die nicht optimale Bearbeitung auch zu einem Schaden führt. Vielmehr sollte man als Voraussetzung der Meldeobliegenheiten eine "greifbare Wahrscheinlichkeit" eines Schadeneintritts verlangen.
Es ist auch nicht sinnvoll, den Sachverhalt in seiner Darstellung "zu schönen". Damit tut der Anwalt weder sich noch seinem Mandanten einen Gefallen. Vielmehr nimmt er die Gefahr in Kauf, dass sein Mandant die Versicherungsleistung, die ihm gebührt, nicht erhält oder dass er selbst leisten muss, ohne vom Versicherer Deckung zu erhalten. Die bloße Mitteilung des Rechtsanwalts an seinen Mandanten, der gegen ihn Schadensersatz geltend macht, er werde seine Haftpflichtversicherung einschalten, ist i.d.R. kein Anerkenntnis, das die Verjährung nach § 212 BGB neu beginnen ließe.
Soweit es für die Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandat erforderlich ist, entfällt gem. § 2 Abs. 3 BORA die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht. Der Anwalt darf und muss seinem Versicherer ggü. alle Mandatsgeheimnisse offenbaren können, ohne berufsrechtliche Konsequenzen zu fürchten. Das Gleiche gilt auch später im Haftpflichtprozess für den eigenen Vortrag. Hier handelt es sich um die Wahrnehmung berechtigter Interessen. Selbstverständlich sind die entsprechenden Mitarbeiter der Versicherung ihrerseits zur Verschwiegenheit ggü. Dritten verpflichtet. Ggü. dem Versicherungsmakler besteht die Verschwiegenheitspflicht allerdings schon, da dessen Einschaltung für die Prüfung des Haftpflichtanspruchs nicht erforderlich ist. Korrekterweise sind also Schadenmeldungen ohne Umweg über den Makler unmittelbar an die Versicherung zu richten; das Gleiche gilt für die sich anschließende Korrespondenz.
Rz. 123
Die Meldung hat binnen Wochenfrist zu erfolgen, § 5 II Nr. 1.1 AVB. Das entspricht der gesetzlichen Vorgabe des § 104 VVG. Die früher verwendete Formulierung, innerhalb derer die Meldung "unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche" zu erfolgen hatte, war widersinnig. Nach wie vor ist aber eine frühere (unverzügliche) Meldung durchaus erwünscht und, wenn kurze Fristen laufen, auch sinnvoll. Das gilt v.a. für Fälle, in denen ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt werden soll.
Rz. 124
Bei § 5 II Nr. 1 AVB handelt es sich jeweils um Anzeige-, nicht um Auskunftsobliegenheiten. Der Versicherungsnehmer muss also von sich aus und nicht erst auf Anfrage des Versicherers tätig werden. Es ist Sache des Versicherers zu entscheiden, ob und wie er sich am Verfahren beteiligen will. Der Versicherungsnehmer hat den Versicherer auch dann von den in Nr. 1.2 genannten Tatbeständen zu unterrichten, wenn er dem Versicherer bereits eine Schadensanzeige nach Nr. 1.1 zugesandt hat. Die Obliegenheiten der Nr. 1.2 bestehen neben denen der Nr. 1. Die unterlassene Anzeige eines gerichtlichen Verfahrens ist nicht dadurch entschuldigt, dass der Versicherungsnehmer glaubt, den Prozess zu gewinnen. Genauso wenig enthebt die dem Versicherer zuvor durch den Geschädigten angekündigte Klageerhebung den Versicherungsnehmer der Verpflichtung, die gerichtliche Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs unverzüglich anzuzeigen. Die unterlassene Benachrichtigung ist grds. auch geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Auch einer Streitverkündungsschrift (§ 73 ZPO) kann ein ernsthaftes Geltendmachen eines Anspruchs gegen den Versicherungsnehmer zu entnehmen sein, das den Anspruch auf Versicherungsschutz auslöst und zugleich dessen Verjährung in Lauf setzt.
Rz. 125
§ 5 II Nr. 2 AVB beschreibt in den verschiedenen Ausprägungen (Nrn. 2.1 bis 2.3) recht detailliert die Mitwirkungspflichten des Versicherungsne...