Rz. 91

Die sofortige Beschwerde kann nach § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO auch auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden.[65] Dabei ist unerheblich, ob es sich um Angriffs- oder Verteidigungsmittel handelt, die im Ausgangsverfahren schon hätten geltend gemacht werden können, oder ob sie erst nach dem Erlass der anzufechtenden Entscheidung entstanden sind.

 

Rz. 92

 

Beispiel

Der Gläubiger möchte den Titel gegen den verstorbenen Schuldner auf dessen einzigen Sohn A nach § 727 ZPO umschreiben lassen. Der Gläubiger behauptet, dass der Schuldner bereits verwitwet gewesen sei, und verweist im Übrigen auf die gesetzliche Erbfolge. Einen Erbschein legt er nicht vor. Der Rechtspfleger verweigert deshalb die qualifizierte Klausel, weil die Erbfolge nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen ist. Der Gläubiger kann nunmehr einen Erbschein beantragen und diesen dann im sofortigen Beschwerdeverfahren nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 567 ZPO vorlegen. Daraufhin ist dann die begehrte titelumschreibende Klausel nach § 727 ZPO zu erteilen.

 

Rz. 93

An dieser Regelung zeigt sich, dass die Beschwerdeinstanz – anders als die Berufungsinstanz – vom Ansatz her zunächst eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz bleibt. § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO lässt allerdings spezialgesetzliche Regelungen unberührt. So kann die Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung nach §§ 236 Abs. 2, 238 Abs. 2 ZPO nur auf die Aspekte gestützt werden, die in der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragen wurden. Gleiches gilt für die Zuschlagbeschwerde nach §§ 95, 100 ZVG. Auch im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss gem. § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO ist neuer Tatsachenvortrag nicht zu berücksichtigen.[66]

 

Rz. 94

Für das Vorbringen neuer Angriffs- oder Verteidigungsmittel kann das Ausgangsgericht oder das Beschwerdegericht allerdings nach § 571 Abs. 3 ZPO eine Frist setzen, bei deren Versäumung neues Vorbringen präkludiert ist. Vorbringen nach Fristablauf ist nur dann nicht präkludiert, wenn die Verspätung genügend entschuldigt werden kann oder aber nach der freien Überzeugung des Gerichts durch deren Zulassung keine Verzögerung des Verfahrens eintritt. Über die Folgen der Fristversäumung ist – auch die anwaltlich vertretene Partei – grundsätzlich zu belehren.

 

Rz. 95

Abgeschnitten ist nach § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO allerdings der Einwand, dass das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe.

[65] OLG Karlsruhe, FamRZ 2014, 680.
[66] OLGR Celle 2009, 651.

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