Rz. 19
Selbst eine schuldlose Mitverursachung (ohne Sach- und Gefährdungshaftung) kann unter Umständen im hier interessierenden Kontext beispielsweise einen Ersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag wegen Selbstaufopferung im Straßenverkehr mindern; und zwar selbst dann, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wurde, sich der Verletzte vielmehr ohne eigenes Verschulden und in Erfüllung einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht zur Rettung anderer in Gefahr begibt. Auch ein Verkehrsteilnehmer, der bei einem Unfall oder einer Panne Hilfe leistet, ist nicht alleine deshalb von jeder Pflicht befreit, um seinen eigenen Schutz bemüht zu bleiben. Er muss sich im eigenen Interesse umsichtig verhalten und das Risiko, infolge seiner Hilfeleistung selbst verletzt zu werden, möglichst ausschalten. Die Rettung von Sachen berechtigt nicht, sich in Lebensgefahr zu begeben. Ergreift ein Unfallhelfer nach einem Unfall, bei dem das Ausmaß der Gefährdung und der Hilfebedürftigkeit der beteiligten Verkehrsteilnehmer nicht sogleich zutreffend erkannt werden kann, nicht die aus nachträglicher Sicht vernünftigste Maßnahme, folgt hieraus allerdings noch nicht ohne weiteres ein Mitverschuldensvorwurf.
Rz. 20
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist. Eine deliktische Haftung ist dabei insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand der (vorläufigen) Festnahme durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch Flucht zu entziehen versucht und die anderen dadurch in vorwerfbarer Weise zu einer sie selbst gefährdenden Verfolgung herausgefordert und dies alsdann zu einem Schaden geführt hat. In derartigen Fallgestaltungen kann die billigenswerte Motivation des Verfolgers zur Nacheile trotz der damit verbundenen besonderen Gefahren ihre Grundlage u.a. in den Dienstpflichten des für die Bewachung des Fliehenden zuständigen Beamten finden. Ob und in welchem Umfang hiernach ein fliehender Täter oder Tatverdächtiger ein gesteigertes Verfolgungsrisiko zu tragen hat, richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls; dabei können auch die Voraussetzungen für eine Schadensteilung nach § 254 BGB erfüllt sein.
Rz. 21
Ein "Alles-oder-nichts"-Prinzip würde – auch – in solchen Fällen einer differenzierenden Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls im Wege stehen. Zur Frage des Mitverschuldens eines einen Straftäter verfolgenden Polizisten durch Selbstgefährdung – hier: Sprung aus einem 4 m hoch gelegenen Fenster. Die Grenze für ein rechtserhebliches Mitverschulden ist dann erreicht, wenn der Geschädigte das ihm zumutbare Maß an Aufmerksamkeit und Sorgfalt bei der Besorgung seiner Angelegenheiten aufgewandt hat. Eine mitwirkende Verursachung des Schadens durch den Geschädigten, insbesondere durch ein auf freiem Entschluss beruhendes Verhalten, schließt den Kausalzusammenhang nach alledem nicht generell aus, es sei denn, das eigene Verhalten liegt außerhalb jeden Erfahrungsbereichs und der Schaden beruht allein auf diesem Verhalten.
Rz. 22
Welche Handlungen einem Geschädigten als Mitverschulden bzw. Verletzung der Schadensminderungspflicht anzurechnen sind, unterliegt der Beurteilung im Einzelfall unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und insbesondere der Zumutbarkeit.
Rz. 23
Das – weder rechtlich noch sittlich gebotene – Handeln auf eigene Gefahr kann erst Recht bei bewusster Selbstgefährdung als ein einen Schadensersatzanspruch schon tatbestandlich ausschließendes Einverständnis oder als eine rechtfertigende Einwilligung in einen Schaden – so vor allem die ältere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – bzw. als treuwidriges, selbstwidersprechendes Verhalten oder – so die neuere Rechtsprechung und Literatur zutreffend in der Regel nur – als eine Form des Mitverschuldens zu werten sein. Ein vollständiger Anspruchsausschluss kommt etwa in Betracht bei Spiel-, Sport- und Freizeitveranstaltungen, namentlich gefährlichen Kampfsportarten, bei denen Verletzungen nicht stets zu vermeiden sind und daher bis zu einem gewissen Grad (leicht fahrlässige Regelverstöße) in Kauf genommen werden; ebenso unter Umständen bei Rennsportveranstaltungen. Ein Mitverschulden wird regelmäßig im Straßenverkehr anzunehmen sein, so z.B. bei ungenehmigten Rennen oder wenn sich etwa jemand als Beifahrer einer erkennbar infolge Drogen-/Alkoholgenusses oder Übermüdung fahruntauglichen Person mitnehmen lässt.
Rz. 24
Bei der Tierhalterhaftung hat der Bundesgerichtshof eine vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr nur in eng begrenzten Ausnahmefällen er...