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(Auch) Soweit es um die Schadensentstehung geht, muss sich ein Kind ein Mitverschulden seiner Eltern nur anrechnen lassen, wenn bereits im Zeitpunkt der Schadensentstehung eine Sonderrechtsbeziehung zwischen dem Kind und dem Schädiger bestanden hat. Daran wird es freilich bei einer deliktischen Schädigung des Minderjährigen in der Regel fehlen.[274] Die Benutzung eines Kinderspielplatzes begründet noch kein derartiges Verhältnis, aus dem sich das Kind, das durch ein nicht verkehrssicheres Spielgerät verletzt wird, über § 254 Abs. 2 S. 2 BGB ein Mitverschulden seines gesetzlichen Vertreters nach § 278 BGB zurechnen lassen müsste.[275] Da es sich im Übrigen bei der rechtlichen Sonderverbindung um eine solche mit gegenseitigen Pflichten und Pflichtenkreisen handeln muss, aus denen bei Pflichtverletzungen Rechte und Pflichten verschiedenster Art bestehen können, genügt es auch noch nicht, wenn Eltern einem fremden Kind (generell) den Aufenthalt in der ehelichen Wohnung gestatten; denn dabei handelt es sich um ein reines Gefälligkeitsverhältnis ohne rechtsverbindlichen Charakter.[276] Aufgrund eines mit der Bahn abgeschlossenen Beförderungsvertrags muss sich hingegen ein zwölfjähriger Ge­schädigter ein Mitverschulden der bestellten Aufsichtsperson anrechnen lassen.[277] Gelegentlich wurde versucht, die Anwendbarkeit des § 278 BGB auch schon dort zu bejahen, wo im Zeitpunkt der Schadensentstehung zwar kein Schuldverhältnis oder eine ihm ähnliche Sonderrechtsbeziehung bestand, wohl aber eine konkrete Gefährdungssituation eingetreten war, durch die der Schadenseintritt unmittelbar drohte.[278] Da jeder Schädigung regelmäßig zumindest ein Moment konkreter Gefährdung vorausgehen wird, führte dies das Erfordernis einer Sonderrechtsbeziehung letztlich ad absurdum, jedenfalls aber zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten. Dieser Ansicht ist der Bundesgerichtshof daher auch zu Recht entgegengetreten: Die bloße Kenntnis des Vaters von dem gefahrdrohenden Zustand kann dem Kind nicht als Mitverschulden angerechnet werden, auch wenn der Vater nichts in Bezug auf die Verhütung des Unfalls unternommen hat.[279]

[274] Vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 16.5.2006 – 4 UH 711/04, NJW-RR 2006, 1165; MüKo-BGB/Oetker, § 254 BGB, Rn 126 ff., 128; § 254 BGB, Rn 27: auch hinsichtlich der Warnobliegenheit.
[275] BGH, Urt. v. 1.3.1988 – VI ZR 190/87, NJW 1988, 2667.
[276] BGH, Urt. v. 7.1.1992 – VI ZR 17/91, NJW 1992, 1095 m.w.N.
[277] BGH, Urt. v. 12.1.1993 – VI ZR 75/92, NJW-RR 1993, 480.
[278] Vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.4.1973 – 4 U 83/72, NJW 1973, 1801.
[279] BGH, Urt. v. 1.3.1988 – VI ZR 190/87, NJW 1988, 2667, 2668.

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