Rz. 55
Gemäß § 21a StVO besteht außerdem sowohl für Fahrer wie für Beifahrer grundsätzlich die Rechtspflicht während der Fahrt Sicherheitsgurte anzulegen (vgl. aber die Ausnahmen – etwa für Taxifahrer – in Abs. 1 S. 2 der Vorschrift). Jedenfalls soweit eine solche Rechtspflicht besteht, stellt das Nichtanlegen von Sicherheitsgurten in der Regel ein anzurechnendes Mitverschulden des Geschädigten dar. Gemäß § 21 Abs. 1a StVO dürfen darüber hinaus Kinder bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr, die kleiner als 150 cm sind, in Kraftfahrzeugen auf Sitzen, für die Sicherheitsgurte vorgeschrieben sind, nur mitgenommen werden, wenn Rückhalteeinrichtungen für Kinder benutzt werden, die den in Art. 2 Abs. 1 Buchstabe c der Richtlinie 91/671/EWG des Rates vom 16.12.1991 über die Gurtanlegepflicht und die Pflicht zur Benutzung von Kinderrückhalteeinrichtungen in Kraftfahrzeugen (ABl EG Nr. L 373 S. 26), der durch Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2003/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.4.2003 (ABl EU Nr. L 115 S. 63) neu gefasst worden ist, genannten Anforderungen genügen und für das Kind geeignet sind.
Rz. 56
Die Gurtanlegepflicht nach § 21a Abs. 1 Nr. 1 StVO besteht auch bei kurzzeitigem verkehrsbedingten Anhalten. Zwar können die Straßenverkehrsbehörden gem. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 56, S. 3 StVO – über die generellen, in § 21a Abs. 1 S. 2 StVO kodifizierten gesetzlichen Fälle hinaus – "in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller" Ausnahmen genehmigen. Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung im Einzelfall ist freilich, dass infolge des Anlegens des Gurtes für den Betroffenen konkret ernsthafte Gesundheitsschäden zu befürchten sind, denen auf anderem Wege nicht vorgebeugt werden kann. Wenn nach alledem ausnahmsweise keine Rechtspflicht des Geschädigten zum Zeitpunkt des Unfalls bestanden haben sollte, schließt dies gleichwohl nicht aus, im konkreten Einzelfall unter Umständen ein anzurechnendes Mitverschulden des Geschädigten infolge Nichtanlegens eines Sicherheitsgurts anzunehmen, sofern das Anlegen allgemeinem Verkehrsbewusstsein entsprach und dies dem Geschädigten in concreto auch zumutbar war.
Rz. 57
Zu beachten ist allerdings, dass auch das Nichtanlegen des Sicherheitsgurts generell nur zu einer Anspruchsminderung führt, wenn im Einzelfall festgestellt ist, dass nach der Art des Unfalls die erlittenen Verletzungen tatsächlich verhindert worden oder zumindest weniger schwerwiegend gewesen wären, wenn der Verletzte zum Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt gewesen wäre. In einer sehr großen Zahl von Fällen wird das Unterlassen des Gurtanlegens danach zu einer Mithaftung des verletzten Pkw-Insassen führen. Schließlich kann heute nicht mehr ernsthaft bezweifelt werden, dass der Gurtnutzen die möglichen Nachteile so sehr überwiegt, dass ein einsichtiger, verantwortungsbewusster Insasse eines Pkw den Sicherheitsgurt anlegen wird und muss. Eine generelle Anspruchskürzung oder gar eine pauschale Mithaftungsquote des nichtangegurteten Geschädigten gibt es jedoch nicht. Die Mithaftung kann im Übrigen, wenn der Schädiger nur nach § 7 StVG haftet, höher bewertet werden als bei Verschuldenshaftung. Zu beachten ist im Übrigen, dass dem Geschädigten das Nicht-angelegt-haben eines Sicherheitsgurts bei einer zeitnahen Zweitkollision dann nicht als Mitverschulden angerechnet werden kann, wenn er infolge der Erstkollision den Sicherheitsgurt ohnehin zur Sicherung der Unfallstelle des Erstunfalls ablegen musste.
Rz. 58
Auch den Beifahrer kann ein Mitverschulden treffen, wenn er in einem nur mit zwei Rücksitzen versehenen und demzufolge auch nur mit zwei Sicherheitsgurten ausgestatteten Pkw (Sportwagen) neben zwei weiteren Personen in der Mitte der Rückbank ohne Anschnallmöglichkeit mitfährt und bei einem Verkehrsunfall durch Herausschleudern aus dem Fahrzeug schwere Kopf- und Beckenverletzungen erleidet. Es begründet ebenso ein Mitverschulden, wenn sich ein Beifahrer während der Fahrt unter Verstoß gegen die Anschnallpflicht zum Schlafen auf die Liegefläche eines Wohnmobils legt, wo er alsdann bei einem Unfall schwere Verletzungen erleidet. Führt eine vorgebeugte Sitzhaltung des Beifahrers dazu, dass die Schutzfunktion des Sicherheitsgurts aufgehoben ist und wirkt sich dies auf den Verletzungsumfang aus, so kann dies ein Mitverschulden des Beifahrers begründen.
Rz. 59
Selbst in Fällen, in denen Geschädigte bei der Unfallverursachung selbst (also beim Entstehen des Unfallgeschehens) kein Mitverschuldensvorwurf trifft, wird regelmäßig im Hinblick auf die aus dem Nichtanlegen des Gurtes resultierenden Verletzungsfolgen eine Kürzung des Schadensersatzanspruches gem. § 254 BGB vorzunehmen sein.
Rz. 60
Nach einer dogmatisch zwar grundsätzlich nachvollziehbaren, der Rechtssicherheit allerdings wenig dienlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist der Tatrichter nicht gehindert, im Einzelfall den Geschädigten ausnahmsweise t...