Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 25
Die Nebentätigkeitsobliegenheit wird bei der verschärften Haftung gegenüber minderjährigen Kindern aus § 1603 Abs. 2 BGB bejaht, soweit der Mindestunterhalt ohne dieses zusätzliche Einkommen nicht geleistet werden kann.
Rz. 26
Wird keine Nebentätigkeit ausgeübt, sind im Einzelfall folgende Fragen zu beantworten:
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Ist die betreffende Person – und ggf. in welchem Umfang – verpflichtet, eine – konkret umrissene – Nebenerwerbstätigkeit auszuüben (Nebentätigkeitsobliegenheit)? |
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Ist diese Nebentätigkeitsobliegenheit verletzt worden? |
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Kann daraus – ggf. in welcher Höhe – ein fiktives Einkommen angerechnet werden? |
Rz. 27
Praxistipp:
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Zu einer fiktiven Zurechnung von Einkünften aus einer Nebentätigkeit besteht demnach kein Anlass, wenn kein Mangelfall vorliegt. |
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Wird eine solche Obliegenheit bejaht, ist es Sache des Unterhaltspflichtigen, darzulegen und ggf. unter Beweis zu stellen, warum er keine Nebentätigkeit ausüben kann. Auch zur Höhe des erzielbaren Einkommens muss substantiiert vorgetragen werden. |
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Fehlt ein solcher substantiierter Sachvortrag, muss der Unterhaltspflichtige damit rechnen, dass das Gericht eine Nebentätigkeitsobliegenheit zu seinen Lasten berechnet und dazu ein erhebliches erzielbares Einkommen gem. § 287 ZPO schätzt. |
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Auch neben einem fiktiven Einkommen aus einer geschuldeten vollschichtigen Erwerbstätigkeit kann noch ein fiktives Einkommen aus einer zumutbaren Nebentätigkeit angesetzt werden. |
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Zwar entfällt die gesteigerte Erwerbsobliegenheit eines unterhaltspflichtigen Elternteiles nicht bei der Betreuung weiterer Kinder. Eine zusätzliche Nebentätigkeit soll dann jedoch nicht zumutbar sein. |
Rz. 28
Der Anwalt des Unterhaltspflichtigen muss ganz konkret mit substantiierten Sachverhaltsangaben vortragen, ob und in welchem Umfang dem Unterhaltspflichtigen die Aufnahme einer Nebentätigkeit zumutbar ist.
Dabei sind abzuwägen
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Einerseits auf Seiten des Unterhaltspflichtigen die besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seine Gesamtbelastung |
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gegen die Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten andererseits. |
Rz. 29
Auf folgende Kriterien wird im Rahmen der Zumutbarkeit einer zusätzlichen (am Wochenende oder am Abend auszuübenden) Tätigkeit insbesondere abzustellen sein (siehe die Checkliste Rdn 36):
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auf die Art der Tätigkeit im Hauptberuf und sie sich daraus ergebende Belastung (z.B. tatsächlich anfallende Überstunden) |
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wechselnde Arbeitszeiten (Schicht- oder Wechseldienst, Sonn- und Feiertagsarbeit,) |
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lange Fahrzeiten im Rahmen der bestehenden Erwerbstätigkeit sowie damit verbundene Fahrtkosten |
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persönliche Gründe (speziell gesundheitliche Aspekte) |
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zeitlicher Umfang des Umgangs mit seinen Kindern |
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die Belastung durch die eigene Haushaltstätigkeit. |
Rz. 30
Schließlich ist zu prüfen, ob es Nebentätigkeiten entsprechender Art für den Betreffenden überhaupt auf dem Arbeitsmarkt gibt und der Aufnahme einer solchen Tätigkeit wiederum keine rechtlichen Hindernisse entgegenstünden (Nebentätigkeitsgenehmigung), wobei auch insoweit die Darlegungs- und Beweislast beim Unterhaltsverpflichteten liegt.
Rz. 31
Verwiesen wird teilweise auf das Arbeitszeitgesetz.
Nach § 3 ArbZG darf die werktägige Arbeitszeit der Arbeitnehmer grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten. Nach § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Damit ist die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig auf 48 Stunden begrenzt (sechs Tage mal acht Stunden), wobei nach § 2 ArbZG die Arbeitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zusammenzurechnen sind. Damit wird die objektive Obergrenze der zumutbaren Erwerbstätigkeit vorgegeben, in denen der Unterhaltspflichtige nach § 1603 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist.
Daraus ist allerdings lediglich die zeitliche Obergrenze für die gesamte Erwerbstätigkeit von 48 Wochenstunden abzuleiten, nicht aber eine generelle Unzulässigkeit von Sonntags- und Feiertagsarbeit. Denn § 10 ArbZG erlaubt eine Vielzahl von Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsverbot, die auch für Nebentätigkeiten einschlägig sein können. Es ist aber immer konkret zu prüfen, ob und in welchem Umfang dem Unterhaltspflichtigen unter Abwägung seiner von ihm darzulegenden besonderen Lebens- und Arbeitszeitsituation einerseits und der Bedarfslage des Kindes oder der Kinder andererseits die Ausübung einer Nebentätigkeit zugemutet werden kann.
Von einem Unterhaltspflichtigen, der eine Berufstätigkeit von weniger als 40 Stunden wöchentlich ausübt, kann grundsätzlich eine Nebentätigkeit verlangt werden. Dies gilt auch bei Zeiten mit Bezug von Kurzarbeitergeld.
Diese strengen Grundsätze gelten nicht nur für männliche Unterhaltspflichtige, sondern auch für Frauen. Auch bei weiblichen Unterhaltspflichtigen wird insgesamt ein Arbeitseinsatz von 48 Wochenstunden bzw. 44 Wochenstunden als grundsätzlich zumutbar angesehen.
Rz. 32
Praxistipp:
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Im Grundsatz wird davon ausgegangen, dass eine Neben... |