Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1149
Die Pflicht zum Nachweis wesentlicher Arbeitsbedingungen ist für Arbeitgeber nicht neu – das Nachweisgesetz (NachwG) existiert bereits seit 1995. Die Regelung erfuhr jedoch durch die Neuerungen im Jahr 2022 eine deutlich gesteigerte arbeitsrechtliche Aufmerksamkeit. Das alte NachwG zur Umsetzung der ehemaligen Nachweisrichtlinie ist durch die neue Arbeitsbedingungen-Richtlinie und deren (Teil-)Umsetzung im Wege der Änderung des Nachweisgesetzes mit Wirkung zum 1.8.2022 abgelöst worden.
Schon in seiner alten Fassung war das Ziel der Nachweispflicht die Herstellung transparenter Arbeitsbedingungen, um die Rechtssicherheit (insbesondere für die Arbeitnehmer) zu erhöhen und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, indem Klarheit über die relevanten Arbeitsbedingungen geschaffen wird. Hintergrund waren insbesondere die in der Praxis noch häufig vorkommenden nicht schriftlich abgeschlossenen Arbeitsverträge. Die gesetzliche Regelung der Niederschrift der Arbeitsbedingungen sollte daher Abhilfe schaffen, erzeugte aber durch kaum spürbare Rechtsfolgen im Fall einer Nichteinhaltung keinen ausreichenden Druck, um die arbeitgeberseitige Compliance sicherzustellen. Mit der Arbeitsbedingungen-RL und ihrer nationalen Umsetzung wurden die arbeitgeberseitigen Pflichten und Sanktionen verschärft, um die Wirksamkeit der Nachweispflicht zu erhöhen (Näheres zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes unter Rdn 1156 ff.). Nach § 6 NachwG sind die Vorschriften dieses Gesetzes zu Ungunsten der Arbeitnehmer unabdingbar – d.h. auf die Nachweiserteilung kann der Arbeitnehmer nicht rechtswirksam ganz oder teilweise verzichten.
Im Zuge der Reform wurde die (bloße) Klarstellungsfunktion aufrechterhalten, indem der Nachweis weiterhin ausschließlich deklaratorische Wirkung entfaltet und die auszuhändigenden Nachweise keine Auswirkungen auf den Inhalt und die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags haben (müssen). Mithin hängt die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Regelung nicht vom fehlerfreien Nachweis ab.
Auch der Grundsatz der Formfreiheit beim Abschluss von Arbeitsverträgen wird durch das NachwG nicht infrage gestellt. Eine nicht unter Wahrung der Schriftform vereinbarte wesentliche Vertragsbedingung ist demnach gleichwohl wirksam, sofern nicht ausnahmsweise die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist. Vielmehr soll sichergestellt werden, dass der Arbeitnehmer unter Aufrechterhaltung dieses Grundsatzes auch bei einem formfreien Vertragsschluss nicht gegenüber einem Arbeitnehmer mit schriftlichem Arbeitsvertrag benachteiligt wird, indem er Klarheit über seine wesentlichen Arbeitsbedingungen als Niederschrift erhält.