Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 307
Von den Krankheitsfällen abzugrenzen sind Fehlzeiten, die auf anderen Ursachen beruhen und für die § 4a EFZG daher nicht gilt. Die Grenzen bestimmen sich daher nicht nach dem EFZG, sondern nach der zu diesem Themenkomplex entwickelten Rechtsprechung.
Es kommen unberechtigte und berechtigte Fehlzeiten in Betracht. Kürzungsabreden sind hier weitgehend zulässig, je nach dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung oder Zweckbestimmung.
Rz. 308
Unberechtigte Fehlzeiten, z.B. infolge von Arbeitsverweigerung, stellen von vornherein keinen Anwendungsfall von Anwesenheitsprämien und deren Kürzung dar. Wer unberechtigt fehlt, erwirbt schon keinen Entgeltanspruch, solange er keine Arbeitsleistung erbringt ("kein Lohn ohne Arbeit"). Dasselbe gilt für Anwesenheitsprämien. Ein Kürzungsrecht wird hier aus dem Leistungszweck der Prämie gefolgert, ohne dass es einer vertraglichen Vereinbarung bedürfte. Gleichwohl empfiehlt sich eine ausdrückliche Regelung aus Gründen der Klarstellung, was auch dem Anreizcharakter einer Anwesenheitsprämie Rechnung trägt.
Rz. 309
Bei berechtigten Fehlzeiten ohne Vergütungsanspruch, z.B. bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses, unbezahltem Urlaub, Elternzeit, Kurzarbeit oder Streik, Wehr- oder Ersatzdienst oder Krankheitszeiten ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung kann eine Kürzung oder Streichung von Anwesenheitsprämien eintreten, je nach dem Inhalt der zugrundeliegenden Vereinbarung.
Rz. 310
Bei berechtigten Fehlzeiten mit Vergütungsanspruch, z.B. bei Erholungsurlaub oder innerhalb der Mutterschutzfristen, muss eine Anwesenheitsprämie den abwesenden Arbeitnehmern bezahlt werden, weil diese während der Abwesenheit einen zwingend vorgeschriebenen Entgeltanspruch haben. Eine Kürzung von Anwesenheitsprämien kommt in diesen Fällen nicht in Betracht. Denn es wäre mit dem Schutzzweck des BUrlG bzw. des MuSchG unvereinbar, normativ oder vertraglich bestimmte zeitliche Freiräume zugleich als prämienschädliche Abwesenheitszeiten zu bewerten. Die frühere Rechtsprechung des BAG, wonach eine Kürzung auch für Zeiten von Beschäftigungsverboten nach dem MuSchG zulässig sei, dürfte nach der Entscheidung des EUGH vom 21.10.1999 und in der Folge ergangenen Entscheidungen der Instanzgerichte nicht fortgeführt werden. Es ist mit Art. 141 EG unvereinbar, Mutterschutzzeiten als Kürzungstatbestand zu definieren. Insoweit ist davon auszugehen, dass uneingeschränkt die Regeln maßgeblich sind, die das BAG in seiner Entscheidung vom 12.5.1993 entwickelt hat, wonach Fehlzeiten während der Mutterschutzfristen den Arbeitgeber nicht zur Kürzung von Sondervergütungen berechtigen. Bislang ungeklärt ist die Frage, ob übergesetzliche Urlaubsansprüche als Sondervergütung i.S.v. § 4a EFZG anzusehen sind oder ob lediglich Zahlungsansprüche i.e.S. unter § 4a EFZG fallen. Für den Fall, dass der Urlaubsanspruch in Natur der Linie des EuGH folgend zum geldwerten Vorteil wird, wird man die Kürzung des übergesetzlichen freiwilligen Urlaubs zulassen müssen.