Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 470
Vereinbarungen, die eine Kürzung von Sondervergütungen bei krankheitsbedingten Fehlzeiten vorsehen, sind zulässig, wenn die Kürzung maximal ein Viertel des arbeitstäglichen Verdienstes pro Tag der Arbeitsunfähigkeit beträgt, § 4a EFZG. Die Norm bestätigt, dass es kein allgemeines Rechtsprinzip gibt, wonach der Anspruch auf eine Sonderleistung entfällt, wenn während des Bezugszeitraums keine Arbeitsleistung erbracht wird. In jedem Fall bedarf es dazu einer Kürzungsvereinbarung.
Rz. 471
§ 4a EFZG ist selbst keine Rechtsgrundlage für die Kürzung von Sondervergütungen, sondern macht Vorgaben für zulässige Vereinbarungen über die Kürzung von Sondervergütungen. Die Kürzungsmöglichkeit muss "vereinbart" sein. Der Begriff "Vereinbarung" ist umfassend gemeint. Hierzu gehören neben dem Arbeitsvertrag auch die Gesamtzusage, die betriebliche Übung, die Betriebsvereinbarung und der Tarifvertrag. Will ein Arbeitgeber also wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten eine Sondervergütung kürzen, so kann er sich nicht auf das Gesetz berufen, sondern er bedarf einer normativen oder vertraglichen Kürzungsgrundlage.
Die individualvertraglichen Kürzungsvoraussetzungen unterliegen der AGB-Kontrolle und insbesondere dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Um wirksam zu sein, muss die Kürzungsvereinbarung die Angabe enthalten, in welcher Höhe die Kürzung vorzunehmen ist, etwa die konkrete Prozentangabe der Kürzung; andernfalls ist die Kürzungsvereinbarung unwirksam, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
Rz. 472
Bei den anrechnungsfähigen bzw. kürzungsfähigen Sondervergütungen handelt es sich um Leistungen, die der Arbeitgeber "zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt" (Legaldefinition). Es sind Leistungen, die aus besonderem Anlass oder Grund erbracht werden, und gerade nicht als Gegenleistung für eine bestimmte Leistung innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Ungeklärt bleibt trotz der Legaldefinition, welches Entgelt "laufend" ist und welches als Sondervergütung angesehen werden kann, insbesondere ob nur Einmalleistungen oder auch vielfache Zahlungen darunter zu verstehen sind. Das laufende Arbeitsentgelt, also die vereinbarte Vergütung für bestimmte Zeitabschnitte oder für eine bestimmte Leistung innerhalb einer genau bemessenen Zeit wird von § 4a EFZG nicht berührt. § 4a EFZG soll alle nicht der normalen vertraglichen Abrechnungsperiode unterworfenen, rechtlich geschuldeten Geldleistungen des Arbeitgebers erfassen. Zu den Sondervergütungen gehören etwa (je nach Ausgestaltung): Anwesenheitsprämien, Weihnachtsgratifikationen, Jahresabschlussprämien, Jahresabschlusszahlungen, Jahressonderleistungen, Weihnachtsgelder oder Sonderzuwendungen. Wirklich freiwillige Leistungen unterfallen unmittelbar nicht § 4a EFZG, weil über sie keine "Vereinbarung" geschlossen wird und auf sie kein Rechtsanspruch besteht. Wird etwa ohne besondere Rechtsgrundlage einem einzelnen Arbeitnehmer wiederholt zu Weihnachten eine Gratifikation in Höhe von 50 % des Novemberlohns gezahlt, also mangels kollektiven Bezugs keine betriebliche Übung begründet, lässt dies keinen einzelvertraglichen Anspruch auf entsprechende Zahlung in einem Kalenderjahr entstehen, in dem wegen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kein Anspruch auf Vergütung bestanden hat.
Rz. 473
Bislang ungeklärt ist, ob übergesetzliche Urlaubsansprüche Sondervergütungen darstellen. Die Vereinbarung zur Kürzung von übergesetzlichen Urlaubsansprüchen wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten des Arbeitnehmers soll dem Anwendungsbereich des § 4a EFZG zumindest dann unterfallen, wenn der Urlaubsanspruch mit einem Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld akzessorisch verknüpft ist und der Urlaub dadurch eine geldwerte Leistung beinhaltet.
Rz. 474
Ob Bonuszahlungen aus Zielvereinbarungen "Sondervergütung" im Sinne des § 4a EFZG sind, ist unklar. Wenn die Bonuszahlung an die Leistung anknüpft, kann sie wohl nicht als Sondervergütung eingeordnet werden; eine Kürzung nach § 4a EFZG dürfte dann ausscheiden. Geht es um Zeiten außerhalb der gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflicht, ist jedenfalls eine proportionale Kürzung des Bonusanspruchs für jene Zeiten zulässig, in denen der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringt.
Rz. 475
Sog. Anwesenheitsprämien können anrechnungsfähige Sonderleistungen sein. Eine Anwesenheitsprämie ist eine Geldleistung, mit der ein Anreiz geboten wird, dass der Arbeitnehmer die Zahl seiner Fehltage (im Bezugszeitraum) möglichst gering hält, indem jeder Fehltag zum Verlust eines Teils der Sonderzahlung führt. Sie kommt in zwei Formen vor: Einmal als Prämie für jeden einzelnen Tag, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnimmt, sowie als Einmalleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, meist zum Monats-, Quartals- oder Jahresende (auch als eine Weihnachtsgratifikation mit Elementen der Anwesenheitsprämie).
Rz. 476
Es ist für die Anwendbarkeit von § 4a EFZG unerheblich, ob rechtstechnisch die Kürzung einer Son...