Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 506
Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder – bei einer Erkrankung im Ausland – die Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung nicht erfüllt, § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG. Durch die zum 1.1.2023 in Kraft getretene Änderung der Nachweispflicht in § 5 Abs. 1a EFZG ist der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG stark eingeschränkt (siehe Rdn 496). Sofern das elektronische Meldeverfahren nach § 5 Abs. 1a EFZG an die Stelle der Nachweispflicht durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tritt, behält § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG weiterhin an Bedeutung, wenn es im Meldeverfahren zu Störungen kommt und die Krankenkasse eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber nicht bereitstellt. In diesem Fall kann der Arbeitgeber von dem Arbeitnehmer die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen, die dieser sich nach § 5 Abs. 1a S. 2 EFZG aushändigen lassen muss. Kommt der Arbeitnehmer dieser Aufforderung nicht nach, besteht ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers, und zwar bis die Krankenkasse eine Meldung zum Abruf für den Arbeitnehmer bereitstellt oder der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.
Das Leistungsverweigerungsrecht setzt voraus, dass entweder keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt wird oder eine solche zwar vorgelegt wird, jedoch inhaltlich nicht den Mindestanforderungen des § 5 Abs. 1 EFZG entspricht, also etwa: keine Angabe zur Arbeitsunfähigkeit und der voraussichtlichen Dauer enthält.
Bei Erkrankung im Ausland besteht das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitsgebers nicht nur bei Verletzung der Nachweispflichten (Vorlage Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), sondern bereits dann, wenn der Arbeitnehmer seinen Anzeige-/Mitteilungspflichten nicht nachkommt. Bei der Prüfung des Verschuldens sind die Besonderheiten einer Erkrankung im Ausland zu beachten; so wird sich der Arbeitnehmer in diesen Fällen nach § 7 Abs. 2 EFZG ("nicht zu vertreten") leichter entlasten können als bei einer Arbeitsunfähigkeit im Inland. So ist etwa der verspätete Eingang der Arbeitsunfähigkeit dann vom Arbeitnehmer nicht zu vertreten, wenn er sie schnellstmöglich auf den Postweg gebracht hat.
Der Arbeitgeber kann nur solange die Entgeltfortzahlung verweigern, wie der Arbeitnehmer seinen Pflichten nicht nachkommt. Sobald der Arbeitnehmer seine Pflichten erfüllt, erlischt das Leistungsverweigerungsrecht und hat der Arbeitnehmer einen durchsetzbaren Anspruch auf die Entgeltfortzahlung. Frühestens zu diesem Zeitpunkt können auch der Schuldnerverzug des Arbeitgebers und damit eine Verzinsungspflicht einsetzen. Umgekehrt gibt es bei andauernder Nichtvorlage der Bescheinigung oder Nichterfüllung der Mitteilungspflichten auf Dauer keine Entgeltfortzahlung.
Ein Leistungsverweigerungsrecht besteht jedoch auch bei fehlender Bescheinigung dann nicht, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unstreitig vorliegt oder in anderer Weise als durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bewiesen ist.