Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 1342
Bevor man entsprechend § 306 Abs. 2 BGB zur Lückenfüllung durch dispositives Recht gelangt, ist zu prüfen, ob die unwirksame Klausel ungeachtet des AGB-Verstoßes zumindest teilweise aufrechterhalten werden kann. Das ist der Fall, wenn die Klausel nach Streichung ihres unwirksamen Teils in ihrem anderen Teil einen selbstständigen grammatikalischen Sinn behält; dieser Teil soll dann wirksam bleiben, sog. "geltungserhaltende Klauselabgrenzung".
Die Arbeitsgerichte haben sich dazu mittlerweile den vom BGH anerkannten Blue-Pencil-Test zu Eigen gemacht. Danach bleibt eine Klausel soweit aufrechterhalten, wie sie bei Streichung des unwirksamen Teils (Streichung "mit einem blauen Stift") noch eine selbstständige, für sich genommen sinnvolle und verständliche, Regelung bildet. Enthält eine Klausel mehrere sachliche Regelungen, bleibt sie bestehen, soweit der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abtrennbar und die verbleibende Regelung weiterhin verständlich ist.
Sprachliche Unteilbarkeit spricht für inhaltliche Unteilbarkeit. Sprachliche Teilbarkeit ist umgekehrt ein Indiz für inhaltliche Teilbarkeit. Grenze ist die Umgehung des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion: Es muss geprüft werden, ob etwa eine gekünstelte Aufspaltung der Klausel vorliegt. Ferner darf der Sinngehalt und der Zweck der Klausel durch die Streichung nicht völlig verändert werden. Schließlich kann in Fällen, in denen die Intransparenz gerade aus der Kombination mehrerer Klauseln besteht, eine Streichung nicht erfolgen, nur um die Klausel "transparent" zu machen. Denn damit würde die Schwelle zur geltungserhaltenden Reduktion überschritten.
Rz. 1343
Beispiel 1
Eine Vertragsstrafenregelung kann geteilt werden, wenn die Klausel mehrere auslösende Pflichtverletzungen bezeichnet, die zur Verwirkung der Vertragsstrafe führen, wovon eine zu unbestimmt ist. Jede auslösende Pflichtverletzung muss so klar bezeichnet sein, dass sich der Versprechende in seinem Verhalten darauf einstellen kann. Wenn die verbleibende Regelung ohne den gestrichenen Teil verständlich bleibt, kann die unzulässige Vertragsstrafenregelung herausgestrichen werden, und die restliche Regelung bleibt nach dem "bluepencil-test" wirksam.
Beispiel 2
Bei einer zweistufigen Ausschlussfrist führt die Unwirksamkeit der zweiten Stufe (zu kurze Frist – ein Monat – für die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs nach Ablehnung) nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel, wenn eine sinnvolle und eigenständige Regelung zur ersten Stufe (schriftliche Geltendmachung innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit) verbleibt. Die zweite Stufe der Ausschlussfrist kann gestrichen werden, ohne dass dadurch die Verpflichtung der Parteien, ihre Ansprüche innerhalb von drei Monaten schriftlich geltend zu machen, sinnlos oder unverständlich wäre.