Peter Kiesgen, Dr. iur. Jan Grawe
Rz. 314
§ 4a EFZG bestimmt die Obergrenze der möglichen Kürzung von Sonderzahlungen im Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Die Kürzungsgrenze ist im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung nicht von der Höhe der Anwesenheits-Gesamtprämie abhängig (hiervon 1/6 bzw. ⅓), sondern vom durchschnittlichen Bruttoverdienst der letzten zwölf Monate. Das auf dieser Basis ermittelte durchschnittliche Tagesentgelt kann nach der gesetzlichen Regelung um maximal ¼ pro krankheitsbedingtem Fehltag gekürzt werden.
Rz. 315
Allerdings kommt § 4a EFZG im Falle von unberechtigten Fehlzeiten (z.B. Arbeitsverweigerung) nicht zur Anwendung; mithin gelten auch dessen Kürzungsgrenzen insoweit nicht, was bei der Klauselgestaltung einen erweiterten Spielraum eröffnet.
Rz. 316
Da das durchschnittliche Tagesarbeitsentgelt von der tatsächlichen Arbeitszeit der letzten zwölf Monate abhängt, wird empfohlen, die in jedem Falle erforderliche einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Kürzungsvereinbarung an die Dauer der vorgesehenen Arbeitstage pro Jahr zu knüpfen. Das wären bei einer Fünf-Tage-Woche 260 Arbeitstage (5 × 52 = 260). Die Grundformel zur Ermittlung des Kürzungsbetrags lautet daher:
Vereinbarter Kürzungsbetrag pro Fehltag = Jahreseinkommen: 260 × ¼
Verschiedentlich werden Urlaubswochen zusätzlich abgezogen, so dass sich der Divisor entsprechend verringert (z.B. bei 30 Urlaubstagen auf 230). Das wird wegen der auch im Urlaub fortlaufenden Entgeltfortzahlungspflicht im Schrifttum allerdings abgelehnt. Außerdem eröffnet die Verwendung eines möglicherweise zu geringen Divisors Rechtsunsicherheiten, denn wenn der prozentuale Abzug die gesetzliche Höchstgrenze überschreitet, wäre die Kürzung insgesamt rechtswidrig. Denn eine geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Klauseln findet im AGB-Recht nicht statt.
Rz. 317
Am Stichtag ist aus der Retrospektive die Summe der Fehltage zu ermitteln. Hierbei wird nach den o.a. Kriterien zwischen kürzungsrelevanten und -irrelevanten Zeiten nach den vorgenannten Kriterien unterschieden. Aus diesem Grund sollte der Kürzungsvereinbarung keine starre Formel, sondern eine hinreichend flexible Regelung zugrunde gelegt werden.
Rz. 318
Aus Gründen der Praktikabilität ist für die Klauselgestaltung weiter zu empfehlen, die Obergrenzen des § 4a EFZG einheitlich festzuschreiben und zwar sowohl für Krankheitsfälle als auch für nicht-krankheitsbedingte berechtigte Fehlzeiten. Das EFZG enthält für Krankheitsfälle ohnehin zwingendes Recht; höhere Kürzungsquoten für nicht-krankheitsbedingte berechtigte Fehlzeiten würden die Dinge unnötig komplizieren.
Rz. 319
Dies zeigt sich an einer Entscheidung des LAG Hamm vom 7.3.2007. Das Gericht differenziert aus Gründen, die sich aus der Gestaltung des Arbeitsvertrags ergaben, zwischen einer Kürzung i.S.v. § 4a EFZG und einer Kürzung aus anderen Gründen. Der Arbeitsvertrag enthielt im zugrundeliegenden Fall zunächst eine allgemeine Regelung über "Sonderzuwendungen", die auch ein hinreichend bestimmtes Kürzungsrecht gem. § 4a EFZG eröffnete, sah aber in einer weiteren Regelung unter der Überschrift "Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall" unter nochmaliger Bezugnahme auf § 4a EFZG vor, Sonderzuwendungen auch im Krankheitsfall "prozentual" zu kürzen. Die letztere Klausel wurde als nicht hinreichend bestimmt bewertet, da ein Prozentsatz nicht angegeben worden sei; der Rückgriff auf die an sich wirksame allgemeine Kürzungsklausel wurde verwehrt, weil diese nach dem Spezialitätsprinzip durch die (unzureichende) Klausel zur krankheitsbedingten Kürzung verdrängt werde.
Rz. 320
Auch unter diesem Blickwinkel ist daher anzuraten, eine einheitlich formulierte Kürzungsregelung zu wählen und diese im Vertragsdokument nicht in direktem Zusammenhang mit den Gehaltsregelungen zu verorten, sondern an anderer Stelle. Außerdem steht zu erwarten, dass die künftige Rechtsprechung aus § 4a EFZG nicht nur die Legaldefinition, sondern auch die vom Gesetzgeber für den Krankheitsfall vorgegebenen Höchstgrenzen auf die verbleibenden Kürzungsfälle überträgt.
Rz. 321
Höhere Kürzungsquoten rechtfertigen sich dagegen bei unberechtigten Fehlzeiten (vgl. oben Rdn 315). Hier ist ein überproportionales Kürzungsrecht möglich und i.S.d. mit der Anwesenheitsprämie verfolgten Zwecks auch zielführend. Angemessen dürfte ein Betrag in Höhe eines vollen durchschnittlichen Tagesarbeitsentgelts für jeden Fehltag sein; diskutiert werden aber auch höhere Obergrenzen, z.B. die volle Kürzung einer monatlich gewährten Anwesenheitsprämie bereits bei einem einzigen unberechtigten Fehltag im Monat. Zu kurz dürfte daher der Vorschlag greifen, pro unberechtigtem Fehltag proportional 1/220 der Prämie zu kürzen, weil dann im Ergebnis weniger gekürzt würde als bei berechtigter Abwesenheit.
Beispiel
Bei einer Anwesenheitsprämie in Höhe eines Monatsgehalts von 2.200 EUR und 22 Monatsarbeitstagen würde sich für berechtigte Abwesenheit eine Kürzungsobergrenze von 25 EUR errechnen (2.200: 22 × ¼ = 25)...