Martin Brock, Dr. Katja Francke
Rz. 54
In Ergänzung zu den Bewerbungsunterlagen erhebt der Arbeitgeber im Lauf des Bewerbungsverfahrens sowie im Vorstellungsgespräch weitere Informationen. Er hat grds. das Recht, alle für ihn relevanten Informationen zu erfragen, soweit schützenswerte Interessen des Bewerbers dem nicht entgegenstehen. Zulässig sind aber nur Fragen, an deren wahrheitsgemäßer Beantwortung der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse hat und aufgrund dessen die Belange des Bewerbers zurücktreten müssen. Ein solches Interesse ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die Beantwortung der Frage für den angestrebten Arbeitsplatz und die zu verrichtende Tätigkeit selbst relevant ist. Unzulässig sind daher Fragen, die keine für das Arbeitsverhältnis bedeutsamen Informationen liefern. Abzuwägen sind regelmäßig das betriebliche Interesse des Arbeitgebers und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.
Rz. 55
Problematisch können Fragen, die bisher als zulässig galten, vor dem Hintergrund des AGG werden. Exemplarisch sei die Frage nach einer Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit herausgegriffen. Diese galt, zumal im sicherheitsrelevanten Bereich, bisher als zulässig, könnte aber unter dem Blickwinkel von §§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1 AGG auch eine Krankheit betreffen und damit als diskriminierungsrelevante Frage nach einer Behinderung verstanden werden. Das liegt schon deshalb nicht fern, weil eine Drogensucht nach der Rechtsprechung des BAG als Krankheit einzustufen ist. Solange diese Zweifel von der Rechtsprechung nicht geklärt sind, sollten bei derartigen Fragen Augenmaß und Zurückhaltung geübt werden.
Rz. 56
Wird eine zulässige Frage nicht wahrheitsgemäß beantwortet, so kann dies nicht nur zu Kündigungsrechten führen, sondern dem Arbeitgeber auch das Recht eröffnen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Dies ist deshalb von erheblicher praktischer Bedeutung, weil im Falle der Anfechtung viele Kündigungsvoraussetzungen nicht zu beachten sind, mithin eine erleichterte Möglichkeit der Lösung eines Arbeitsverhältnisses besteht. Die Anfechtung muss nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes analog § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen erfolgen, überdies ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 BGB. Ein laufendes Arbeitsverhältnis wird nicht ex tunc, sondern ex nunc beendet.
Rz. 57
Eine Offenbarungspflicht des Bewerbers ohne eine entsprechende Frage des Arbeitgebers besteht nur bei Tatsachen, deren Mitteilung der Arbeitgeber nach Treu und Glauben auch ungefragt erwarten durfte, nämlich dann, wenn die betreffenden Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung der vertraglichen Pflichten unmöglich machen oder wenn diese Umstände sonst für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind.
Dies gilt z.B. für eine demnächst anzutretende Haftstrafe, bei einer Behinderung (jedenfalls nach bisheriger Rechtsprechung), aufgrund der der Bewerber die zu verrichtende Tätigkeit nicht leisten kann oder bei Alkohol-/Drogenabhängigkeit im Falle der Bewerbung auf eine sicherheitsrelevante Position, z.B. Kraftfahrer, Pilot, Gerüstbauer. Wird sich der Bewerber zum Zeitpunkt des Dienstantritts in Kur befinden, so wäre auch dies unaufgefordert mitzuteilen. Einschlägige Wettbewerbsverbote, denen der Bewerber unterliegt, sind ebenfalls ungefragt zu offenbaren.
Rz. 58
In Einstellungsverfahren werden oft auch Fragen gestellt, die mit der ausgeschriebenen Tätigkeit wenig zu tun haben und eher persönlicher Natur sind. Die Frage nach seinen Hobbies oder dem Beruf des Ehepartners muss in aller Regel nicht beantwortet werden. Damit der Arbeitgeber aus der Nichtbeantwortung unzulässiger Fragen keine negativen Schlüsse zieht, wird dem Arbeitnehmer bei unzulässigen Fragen ein "Recht zur Lüge" zugebilligt, welches dem Notwehrrecht ähnelt und daher dem Arglisteinwand des Arbeitgebers entgegensteht. Entsprechendes gilt auch nach der Neufassung des BGleiG weiterhin für die nach § 7 Abs. 2 BGleiG unzulässigen Fragen.