Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
Rz. 222
Das Integrationsamt erteilt die Zustimmung bei nicht nur vorübergehender Einstellung oder Auflösung von Betrieben und Dienststellen, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem letzten Tag der Vergütungszahlung mindestens drei Monate liegen, § 172 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Insoweit besteht der besondere Kündigungsschutz faktisch nur in einer besonderen Lohnsicherung, wenn alle Arbeitsplätze auf Dauer wegfallen. Gleiches gilt bei nicht nur vorübergehender wesentlicher Betriebseinschränkung, § 172 Abs. 1 S. 2 SGB IX. An den Begriff der Betriebseinschränkung in § 111 BetrVG kann angeknüpft werden. Voraussetzung der Einschränkung der Ermessensentscheidung bei wesentlichen Betriebseinschränkungen ist allerdings, dass die Gesamtzahl der danach beschäftigten schwerbehinderten Menschen die Beschäftigungspflicht nach § 154 SGB IX (derzeit 5 % bei einem Arbeitgeber mit durchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen) erfüllt. Dabei kann die Pflicht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen auch durch eine Teilzeitbeschäftigung erfüllt werden. Die Mindestbeschäftigungsdauer für eine Anrechnung des Schwerbehinderten auf die Pflichtquote liegt jedoch bei 18 Wochenarbeitsstunden, § 156 Abs. 3 SGB IX. Die Beschäftigungspflicht kann auch durch die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen erfüllt werden, die bereits das 65. Lebensjahr vollendet haben.
Rz. 223
Das Ermessen ist jedoch nicht eingeschränkt, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz desselben Betriebes oder auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb desselben Arbeitgebers mit Einverständnis des schwerbehinderten Menschen möglich und dem Arbeitgeber zumutbar ist, § 172 Abs. 1 S. 3 SGB IX. Die Zumutbarkeitsprüfung erstreckt sich auch auf die tatsächliche Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers auf einem vorhandenen Arbeitsplatz. Ist dieser andere Arbeitsplatz besetzt, hat das Integrationsamt Überlegungen zur Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 3 KSchG anzustellen; allerdings ist das Einverständnis des Arbeitnehmers erforderlich, wenn das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung verweigern und den Arbeitgeber damit (indirekt) auf die Kündigung eines anderen Arbeitnehmers verweisen will, § 172 Abs. 1 S. 3 SGB IX.
Die behördliche Entscheidung ist ermessensfehlerhaft und gerichtlich zu ersetzen, wenn sie nicht auf einem vollständig ermittelten Sachverhalt beruht.
Rz. 224
Ist für den schwerbehinderten Menschen ein anderer angemessener und zumutbarer Arbeitsplatz gesichert, soll die Zustimmung erteilt werden, § 172 Abs. 2 SGB IX; somit ist das Ermessen des Integrationsamtes auch insoweit eingeschränkt. Der "andere" Arbeitsplatz kann bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber bestehen, muss aber "gesichert" sein, was einen vertraglichen Anspruch auf den Arbeitsplatz voraussetzt. Die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz soll für den Arbeitgeber nicht nur gegeben sein, wenn ein freier Arbeitsplatz gleicher Qualifikation vorhanden ist, auch ein höherwertiger freier Arbeitsplatz mit ggf. mehr Einarbeitungszeit könne dem Arbeitgeber zugemutet werden. Der Angemessenheit steht andererseits auch nicht generell entgegen, wenn der andere Arbeitsplatz mit einer Herabgruppierung einhergeht oder allgemein niedriger bewertet ist; abzustellen ist auf die Nettovergütung. Jedoch ist bei sinkendem Leistungsvermögen eine Einkommensminderung hinzunehmen. Angemessenheit und Zumutbarkeit sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegen; eine exakte juristische Trennung ist nicht immer möglich.
Rz. 225
Bei der ordentlichen Kündigung ist das Integrationsamt an keine fixe Entscheidungsfrist gebunden. Gemäß § 171 Abs. 1 SGB IX "soll" es seine Entscheidung jedoch binnen eines Monats ab Eingang des Antrages treffen. Nur in den Fällen des § 172 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 SGB IX – also bei Betriebsschließung oder Insolvenz – gilt die Zustimmung als erteilt, wenn die Entscheidung nicht binnen der Monatsfrist getroffen ist, § 171 Abs. 5 S. 2 SGB IX.
Rz. 226
Praxishinweis
Die Verbindung eines Zustimmungsantrags für eine außerordentliche und eine (hilfsweise damit verbundene) ordentliche Kündigung kann eine Beschleunigung des Verfahrens bewirken. Oftmals werden sich die Integrationsämter bemühen, über die Zustimmung zu beiden Kündigungen innerhalb der für die außerordentliche Kündigung geltenden Zwei-Wochen-Frist zu entscheiden. Anderseits darf dabei nicht "über das Ziel hinaus geschossen" werden, denn für eine außerordentliche Kündigung muss der Sachverhalt auch geeignet sein.
Rz. 227
Nach Zugang der förmlichen Zustellung des Zustimmungsbescheides hat der Arbeitgeber die Kündigung innerhalb eines Monats zu erklären, § 171 Abs. 3 SGB IX. Versäumt er diese Frist oder kündigt er zu früh, muss erneut ein Antrag auf Zustimmung gestellt werden. Umgekehrt gilt, dass ein Zustimmungsbescheid, der als eingeschriebener Brief zugestellt wird, gemäß Landesverwaltungszustellung...