Rz. 131
Nach Nr. 2 des § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners im Zweifel auch dann anzunehmen, wenn wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, durch eine Klausel des AGB-Verwenders so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Mit dieser Regelung sollen Fälle erfasst werden, die in Ermangelung einer die jeweilige Frage betreffende gesetzlichen Regelung nicht bereits von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB erfasst werden. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass Nr. 1 und Nr. 2 des § 307 Abs. 2 BGB ansonsten erhebliche strukturelle Parallelen aufweisen: Die "wesentlichen Rechte und Pflichten" im Sinne der Nr. 2 entsprechen dabei strukturell den "wesentlichen Grundgedanken" in Nr. 1. Auch die Begriffe "abweichen" einerseits, "einschränken" andererseits sowie die in Nr. 1 vorgesehene Unvereinbarkeit und die in Nr. 2 geforderte Gefährdung der Vertragszweckerreichung verdeutlichen die Ähnlichkeit der beiden Tatbestände des § 307 Abs. 2 BGB.
Rz. 132
Bei Anwendung des § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist zunächst von der Natur des jeweiligen Vertragsverhältnisses auszugehen. Diese Natur wird durch Zweck und den Inhalt des jeweiligen Vertrags und bei gesetzlich normierten Vertragstypen überdies durch die wesentlichen gesetzlichen Schutznormen bestimmt. Bei der Beurteilung arbeitsvertraglicher Regelungen sind also insbesondere die in §§ 611 ff. BGB vorgesehenen Regelungen der Lasten- und Risikoverteilung in die Betrachtung einzubeziehen.
Rz. 133
Wahrlich nicht selbsterklärend und mit einer gewissen Unschärfe behaftet ist der in § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB verwendete Begriff der "Wesentlichkeit" der aus der Natur des Vertrags folgenden Rechte und Pflichten. Wenig zur Konkretisierung trägt es in diesem Zusammenhang zunächst bei, wenn man in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung hier von den vertraglichen Kardinalpflichten spricht. In Rechtsprechung und Literatur werden unterschiedliche Begründungsansätze zur Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Rechten und Pflichten unter § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB vertreten.
Einigkeit besteht allerdings noch insoweit, als die Norm nicht etwa nur vertragliche Hauptleistungspflichten erfasst. Auch Nebenpflichten kommen hier durchaus als "wesentliche" Pflicht in Betracht. Im Übrigen gilt, dass insbesondere solche Pflichten, die zueinander im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen oder Nebenpflichten, die für den Schutz des Vertragspartners von besonderer Bedeutung sind, als wesentliche Pflicht bzw. als wesentliches Recht in diesem Sinne in Betracht kommen. Die wesentlichen Rechte und Pflichten eines Vertrags sind überdies regelmäßig diejenigen, die die Voraussetzung für die Vertragserfüllung schaffen und für die Erreichung des Vertragszwecks unentbehrlich sind. Die Frage der Wesentlichkeit bestimmt sich dabei aus der Sicht eines durchschnittlichen Vertragspartners. Maßgeblich soll sein, auf welche Rechte und Pflichten der Vertragspartner vertraut hat und auch redlicherweise vertrauen durfte.
Rz. 134
Eine Gefährdung des Vertragszwecks im Sinne der Norm liegt etwa dann vor, wenn die zu überprüfende Klausel die Rechtsposition des Vertragspartners derart beeinträchtigt, dass das mit dem Vertrag angestrebte wirtschaftliche Ergebnis nur noch mit wesentlichen Einschränkungen erreicht werden kann.