Rz. 95
Ausgenommen sind von einer Angemessenheitskontrolle ferner die vertraglich vereinbarten Hauptleistungspflichten. Dass dies so ist, folgt zwar nicht schon ohne Weiteres aus dem Wortlaut des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB, wird jedoch – wie auch schon früher unter § 8 AGBG – aus der Vorschrift und dem Gedanken abgeleitet, dass es für die Festlegung der Hauptleistungspflichten in aller Regel keine gesetzlichen Vorschriften gibt, von denen abgewichen werden könnte und Leistung, Gegenleistung sowie das Verhältnis zwischen beiden der Verhandlung der Parteien vorbehalten sein und grds. keiner richterlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen soll. Auch das BAG hat verschiedentlich betont, dass es nicht Aufgabe der Gerichte ist, über die Anwendung der §§ 305 ff. BGB einen "gerechten Preis" für eine Arbeitsleistung festzulegen. Zudem deuten bereits die Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG auf eine Kontrollfreiheit von Regelungen der Hauptleistungen hin. Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie betrifft die Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln weder den Hauptgegenstand des Vertrags noch die Angemessenheit zwischen Preis bzw. Entgelt einerseits und den dafür versprochenen Gütern bzw. Dienstleistungen andererseits, sofern diese Klauseln klar und verständlich gefasst sind.
Rz. 96
Eine Inhaltskontrolle auch mit Blick auf Regelungen der Hauptleistungspflichten kommt allerdings grds. dort in Betracht, wo diese ausnahmsweise durch Rechtsvorschriften – etwa in Gestalt der Gebührenordnungen der Freien Berufe – bestimmt werden. In der arbeitsrechtlichen Praxis spielt dies allerdings in Ermangelung solcher Rechtsvorschriften keine nennenswerte Rolle: Zu denken ist zwar etwa an die Regelung des § 6 Abs. 5 ArbZG, der für den Fall des Fehlens tarifvertraglicher Ausgleichsregelungen vorsieht, dass der Arbeitgeber seinen Nachtarbeitnehmern für während der Nachtzeit geleistete Arbeitsstunden entweder eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder aber einen angemessenen Zuschlag zu gewähren hat. Zu Recht wird allerdings darauf hingewiesen, dass § 6 Abs. 5 ArbZG bereits selbst Rechtsgrundlage für eine Angemessenheitskontrolle ist und es insoweit eines Rückgriffs auf die §§ 307 ff. BGB schon gar nicht mehr bedarf. Auch § 612 Abs. 2 BGB, nach dem bei fehlender Vergütungsbestimmung im Zweifel die "übliche" Vergütung als vereinbart anzusehen ist, führt nicht zu einer Inhaltskontrolle der Vergütungshöhe, weil auch diese Vorschrift keine gesetzliche Festlegung der Vergütung beinhaltet und im Übrigen ohnehin nur dann zum Tragen kommt, wenn im Vertrag gerade keine Vergütung vereinbart wurde.
Rz. 97
Für den Bereich des Arbeitsrechts bedeutet dies, dass arbeitsvertragliche Regelungen zu Inhalt, Umfang, Ort und Dauer der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistung (sog. Leistungsbeschreibung) grds. der Inhaltskontrolle entzogen sind. Gleiches gilt für die Höhe des im Gegenzug durch den Arbeitgeber zu zahlenden Arbeitsentgelts (Preisabrede) sowie das Verhältnis zwischen Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt.
Rz. 98
So handelt es sich nach der Rechtsprechung z.B. bei einer Klausel, die ausschließlich die Vergütung von Überstunden, nicht jedoch die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers zur Leistung von Überstunden regelt, um eine kontrollfreie Hauptleistungsabrede. Für den praktisch wohl häufiger vorkommenden Fall, dass die Klausel auch eine Anordnungsbefugnis vorsieht, geht die wohl überwiegende Meinung jedoch davon aus, dass es sich dann um eine durchaus der Inhaltskontrolle zugängliche Preisnebenabrede handelt.
Eine Regelung zur erreichbaren Vergütungshöhe im Rahmen einer zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber getroffenen Zielvereinbarung unterliegt als Preisabrede keiner Inhaltskontrolle. In einem arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag ist jedenfalls die eigentliche Beendigungsvereinbarung ebenso wie die als "Gegenleistung" vorgesehene Zahlung einer Abfindung kontrollfrei.
Rz. 99
Bei Vereinbarungen über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot unterliegen Regelungen zur inhaltlichen, örtlichen und zeitlichen Reichweite des Wettbewerbsverbot sowie die für die Befolgung des Wettbewerbsverbots versprochene Karenzentschädigung als Hauptleistungspflichten der Wettbewerbsabrede jedenfalls dann keiner Inhaltskontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB, wenn die Wettbewerbsabrede nachträglich eigenständig, d.h. außerhalb des Arbeitsvertrags getroffen wird.
Rz. 100
Möglich bleibt auch im Falle von Regelungen der Hauptleistungspflichten allerdings eine Überprüfung der jeweiligen Klausel am Maßstab des Transparenzgebots (§ 307 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB). Dies beruht auf der Erwägung, dass ein Mindestmaß an Transparenz der Preisgestaltung erst einen funktionierenden Wettbewerb ermöglicht. Ebenso bleibt auch der Schutz vor überraschenden Klauseln nach § 305c BGB von der Kontrollfreiheit nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB unberührt.