Rz. 493
Rz. 494
OLG Celle
Ein aus einer Grundstücksausfahrt kommender Fahrer eines Kleinbusses (1) will auf der gegenüberliegenden Straßenseite in ein Grundstück einfahren. Da die Sicht nach rechts durch parkende Fahrzeuge eingeschränkt ist, zieht er nach kurzem Abstoppen in die Fahrbahnmitte vor. Ein auf dieser Straße fahrender Motorradfahrer (2) ist mit höherer als der zugelassenen Geschwindigkeit (50 km/h) unterwegs. Er bremst ab, kommt zu Fall und kollidiert mit dem Kleinbus (1). Der Fahrer (1) haftet zu ⅔, weil beim Ausfahren aus einem Grundstück nicht ohne weiteres so weit vorgefahren werden darf, dass Einblick in den Straßenverlauf besteht.
Rz. 495
BGH
Das Befahren der linken Fahrbahn durch den am fließenden Verkehr teilnehmenden Fahrzeugführer beseitigt nicht die Verpflichtung des aus einem Grundstück auf die Straße Einfahrenden, dem fließenden Verkehr den Vorrang zu belassen und diesen nicht zu behindern. § 10 S. 1 StVO legt dem aus einem Grundstück in die Straße einfahrenden Fahrzeugführer gesteigerte Pflichten auf.
Rz. 496
BGH
Aus einem Grundstück darf gem. § 19 StVO nur dann auf eine Straße ausgefahren werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies bedeutet, dass den Ausfahrenden (1) das Äußerste an Sorgfalt, insbesondere gegenüber dem fließenden Verkehr, auferlegt wird. Das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs erstreckt sich hingegen auf die gesamte Fahrbahn und besteht unabhängig von einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Der ansonsten geltende Grundsatz, dass sich der Wartepflichtige (1) in die Vorfahrtsstraße so weit vortasten darf, bis er die nötige Sicht hat, gilt nicht für die Ausfahrt aus einem Grundstück.
Rz. 497
OLG Celle
Gegen den aus einem Grundstück ausfahrenden Fahrzeugführer (1) spricht der Anschein der schuldhaften Unfallverursachung, wenn er mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs kollidiert. Wenn ein (Mit-)Verschulden des Unfallgegners nicht nachgewiesen werden kann, tritt auch dessen Haftung aus Betriebsgefahr zurück. Fahrer (1) hat den gegen ihn als Ausfahrenden aus einem Grundstück bei Kollision mit dem fließenden Verkehr sprechenden Anschein des Alleinverschuldens nicht entkräften können. Es kann nicht festgestellt werden, dass Fahrer (2) – ohne auf das einfahrende Fahrzeug zu achten – auf den rechten Fahrstreifen gewechselt ist. Vielmehr spricht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Zusammenstoß auf dem linken Fahrstreifen ereignet hat. Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Fahrer (2) schuldhaft handelte. Fahrer (1) haftet zu 100 %.
Rz. 498
OLG Koblenz
Ein Mofafahrer (1), der, ohne den bevorrechtigten Verkehr zu beachten, aus einer Grundstücksausfahrt über den Verzögerungsstreifen ausfährt, um von dort nach links in die Straße einzubiegen, kann sich nicht auf den sonst auch individuelle Rechte schützenden § 12 Abs. 1 Nr. 3 StVO berufen. Zu Gunsten des Fahrers (1) könnte nur noch das allgemeine Sorgfaltsgebot des § 1 Abs. 2 StVO eingreifen. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Wie die in der Regelung des § 10 StVO deutlich werdende Wertung des Gesetzgebers zeigt, war es in erster Linie Sache des Fahrers (1), für ein gefahrloses, seine eigene körperliche Unversehrtheit einschließendes Ausfahren aus dem Grundstück der Firma zu sorgen. Dies wäre ihm auch ohne weiteres möglich gewesen. In Anbetracht der schlechten Sichtverhältnisse an der von ihm gewählten Ausfahrt hätte er unstreitig die andere Ausfahrt benutzen können, die ihm eine ungehinderte Sicht nach links ermöglicht hätte.
Rz. 499
OLG Hamburg
Fährt ein Radfahrer in den fließenden Verkehr ein und stürzt ohne direkte Berührung, weil er sich wegen eines ohne Beleuchtung fahrenden Radfahrers erschreckt hat, haftet der ohne Licht fahrende Radfahrer zu 30 %. Die Beleuchtungsverpflichtung bei Dunkelheit schützt nicht nur den das Fahrzeug benutzenden Verkehrsteilnehmer, sondern alle Verkehrsteilnehmer. Auf die Beachtung der Beleuchtungsverpflichtung darf jeder Verkehrsteilnehmer vertrauen.
Rz. 500
OLG Frankfurt a.M.
Das Vorfahrtsrecht erstreckt sich auf die gesamte Fahrbahn und besteht unabhängig von einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Der ansonsten geltende Grundsatz, dass der Wartepflichtige, dem die Sicht auf die Vorfahrtsstraße verwehrt ist, in diese soweit hineinfahren darf, bis er Einblick gewinnt, gilt nicht beim Herausfahren aus einem Grundstück. Der Ausfahrende (1) haftet bei einem Zusammenstoß mit dem Vorfahrtsberechtigten (2) zu 80 %.
Rz. 501
OLG Nürnberg
Beim Ausfahren aus einem Waldweg haftet der Wartepflichtige (1) bei schlechter Einsicht in die Vorfahrtsstraße sogar dann zu ⅔, wenn der Vorfahrtsberechtigte (2) die Geschwindigkeit um mehr als 50 % überschritten hatte.
Rz. 502
LG Arnsberg
Verursacht der Fahrer eines Kfz (1) unter Verstoß gegen § 10 StVO (verbotswidriges Ausfahren aus einem Grundstück) einen Auffahrunfall zweier auf der Fahrbahn befindlicher Kfz [(2) und (3)...