Rz. 2471
Rz. 2472
OLG München
Der Wartepflichtige (1) darf sich durch eine Lücke, die in dem auf der Vorfahrtstraße zum Stehen gekommenen Verkehr für eine Durchfahrt frei gelassen wurde, langsam bis zur Sichtgewinnung in den nicht durch die stehenden Fahrzeuge in Anspruch genommenen Teil der Straße vortasten, auch wenn ihm die Sicht zunächst völlig versperrt ist. Der Fahrer eines überholenden Fahrzeugs (2) haftet zu 20 %, wenn er die Verkehrslücke wahrnehmen konnte.
Rz. 2473
OLG Schleswig
Wer als Vorfahrtberechtigter (2) unter Überfahren einer Sperrfläche einen 12 m langen Lkw links überholt, der gem. § 11 Abs. 1 StVO vor einer von rechts einmündenden untergeordneten Nebenstraße angehalten hat, und dadurch mit dem von rechts Einbiegenden (1), der sich mit dem Lkw-Fahrer verständigt hat, zusammenstößt, haftet zu 100 %.
Rz. 2474
OLG Brandenburg
Das Verbot der Durchfahrt einer Engstelle bei Gegenverkehr gemäß Zeichen 208 gilt nicht nur bei entgegenkommenden mehrspurigen Fahrzeugen. Es gilt auch dann, wenn ein einspuriges Fahrzeug (hier: Motorrad) entgegenkommt. Wer grundsätzlich Vorrang vor dem Gegenverkehr hat, muss mit Gegenverkehr rechnen, an dem bei normaler Fahrt ohne Behinderung vorbeigefahren werden kann. Er muss deshalb in der Engstelle so weit rechts wie möglich fahren. Der Fahrer eines Linienbusses haftet zu 60 %, wenn er trotz einer entgegenkommenden Motorradfahrerkolonne in eine Engstelle einfährt, wenn der Motorradfahrer nicht äußerst rechts gefahren war.
Rz. 2475
KG
Der durch grünes Ampellicht Vorfahrtsberechtigte muss nicht damit rechnen, dass ein Linksabbieger sorgfaltswidrig versuchen wird, seine Fahrbahn zu kreuzen, auch dann nicht, wenn für ihn die Sicht nach links durch im linksseitigen Fahrstreifen stehende Kfz verdeckt ist. Die Lückenrechtsprechung gilt nicht für ampelgeregelte Kreuzungen. Dort besteht kein Bedürfnis, dem wartepflichtigen Linksabbieger zu gestatten, sich durch eine vorhandene Verkehrslücke auf der bevorrechtigten Straße vorzutasten. Vielmehr muss er abwarten, bis die Ampel für ihn grünes Licht anzeigt oder der grüne Linksabbiegerpfeil das Abbiegen freigibt. Will der Wartepflichtige die Mithaftung des Bevorrechtigten damit begründen, dieser hätte den Unfall durch eine rechtzeitige unfallverhütende Reaktion vermeiden können, muss er beweisen, dass sich der Bevorrechtigte zur Zeit der Erkennbarkeit der Vorfahrtsverletzung in einer solchen Entfernung vom Unfallort befand, dass eine unfallverhütende Reaktion möglich gewesen wäre.
Rz. 2476
KG
Auch für einen Kraftradfahrer (2) ist das Überholen unzulässig, wenn ihm während des Überholvorgangs kein voller Fahrstreifen zur Verfügung steht. Die sog. Lückenfallrechtsprechung gilt nicht bei Annäherung an eine vor einer Grundstücksausfahrt freigelassene Lücke. Diese besagt, dass der vorfahrtberechtigte Fahrzeugführer, der an einer zum Stillstand gekommenen Fahrzeugkolonne links vorbeifährt, bei Annäherung an eine Kreuzung oder Einmündung auf größere Lücken in der Kolonne zu achten und sich darauf einzustellen hat, dass sie vom Querverkehr benutzt werden. Der Ausfahrende (1) haftet zu ⅔, der Überholer (2) zu ⅓.
Rz. 2477
KG
Fährt ein Pkw-Fahrer (1) aus einer Grundstücksausfahrt nach links durch eine Lücke in der auf der Hauptstraße stehenden Kolonne, haftet er zu 50 %, wenn er mit einem Motorradfahrer (2), der im Überholverbot überholt, zusammenstößt.
Rz. 2478
OLG Celle
Wer ordnungsgemäß zum Überholen einer Kolonne angesetzt hat, hat gegenüber ausscherenden Fahrzeugen aus der Kolonne Vorrang, auch wenn im weiteren Verlauf die Absicht, links abzubiegen, erkennbar wird. Das Überholen einer großen Kolonne von 9–10 Fahrzeugen, ohne dass eine unklare Verkehrslage vorliegt, ist grundsätzlich erlaubt und führt nicht zu einem Mitverschulden. Ggf. kommt jedoch eine erhöhte Betriebsgefahr zum Ansatz. Verletzt der aus einer Kolonne Abbiegende seine Pflichten aus § 9 Abs. 1 StVO und kommt es deshalb zu einem Zusammenstoß mit einem die Kolonne ordnungsgemäß Überholenden, trifft den Abbiegenden die überwiegende Haftung (vorliegend 75 %). (amtl. LS.)
Rz. 2479
OLG Hamm
Kollidiert ein aus einer untergeordneten Straße einbiegender und durch eine Lücke in einer stehenden Kolonne auf eine übergeordnete Straße einfahrender Kfz-Fahrer mit einem, an der Kolonne vorbeifahrenden Fahrzeugführer, haftet er wegen Verletzung seiner Wartepflicht zu ⅔ und der Vorbeifahrende wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu ⅓.
Rz. 2480
OLG Hamm
Fährt ein Kraftfahrer links an einer verkehrsbedingt vor einer Ampel zum Halten gekommenen Fahrzeugkolonne vorbei und überfährt er hierbei verbotswidrig eine Sperrfläche, muss er den von rechts aus einer Grundstücksausfahrt kommenden, mit seinem Pkw in einer Lücke auf der rechten Fahrspur stehenden Verkehrsteilnehmer, der erkennbar durch die Lücke nach links einbiegen will und dabei nur nach rechts schaut, durch Schallzeichen warnen. Missachtet der Vorbeifahrende (2) diese Verpflichtung und komm...