Rz. 60
Rz. 61
OLG Hamm
Der Fahrer eines Pkw (1) haftet bei einem Zusammenstoß mit einem Kraftrad (2) zu ⅓, wenn er die Fahrbahn nicht so zügig wie möglich beim Linksabbiegen in ein Grundstück überquert hatte. Den Motorradfahrer (2) trifft das überwiegende Verschulden am Unfall (⅔), wenn er statt mit erlaubten 50 km/h mit 87,5 km/h unterwegs war.
Rz. 62
BGH
Für die Folgen eines Verkehrsunfalls hat der Linksabbieger, der die ihn gem. § 9 Abs. 3 S. 1 StVO gegenüber dem Gegenverkehr treffende Wartepflicht missachtet hat, i.d.R. in vollem Umfang allein oder doch zumindest zum größten Teil zu haften. Ist der geschädigte Kfz-Halter in erheblicher Weise für den Schaden mitverantwortlich, so führt dies nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG zu einer Beschränkung von Grund und Umfang des Schadensersatzanspruchs. Die Bestimmung statuiert – ebenso wie § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG und § 4 HaftPflG – eine Ausnahme von dem Grundsatz der Totalreparation, dem Alles-oder-Nichts-Prinzip des Schadensersatzrechts.
Rz. 63
BGH
Der Linksabbieger, der seine Wartepflicht nach § 9 Abs. 3 S. 1 StVO gegenüber dem Gegenverkehr verletzt, haftet regelmäßig voll bzw. weit überwiegend. Er muss den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn er bei "Gelb" oder bei "frühem Rot" einfährt. Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des geradeaus Fahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf.
Rz. 64
BGH
Für das Verschulden des Abbiegenden kann beim Zusammenstoß zwischen einem nach links abbiegenden und einem in Gegenrichtung geradeaus fahrenden Kfz der Anscheinsbeweis sprechen. § 377 Abs. 3 ZPO bestimmt explizit, dass das Gericht eine schriftliche Beantwortung der Beweisfrage anordnen kann, wenn es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage und die Person des Zeugen für ausreichend erachtet. Unter den durch die Vorschrift vorgegebenen Voraussetzungen ist schon nach dem Gesetz eine Beweiswürdigung aufgrund der privat-schriftlichen Erklärung eines Zeugen möglich. Darüber hinaus kann der Beweisführer den Urkundsbeweis wählen.
Rz. 65
BGH
Ein Linksabbieger (1) muss sich in die Gegenfahrbahn hineintasten, wenn er bei Dämmerung von einer gut ausgeleuchteten innerörtlichen Straße nach links abbiegen will, aber wegen vorhandener Sichthindernisse die Gegenfahrbahn nicht einsehen kann. Er darf nicht darauf vertrauen, dass ihm nur beleuchtete Fahrzeuge entgegen kommen, die wegen ihrer Beleuchtung durch die Sichthindernisse hindurch erkannt werden können. Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs, das nach links abbiegt, ist gegenüber derjenigen, eines unter normalen Umständen geradeaus fahrenden Fahrzeugs erhöht. Bestehen für den Linksabbieger erschwerte Sichtverhältnisse auf den Gegenverkehr, führt dies zu einer weiteren Erhöhung der Betriebsgefahr. Das Vertrauen des Verkehrs darauf, bei Dunkelheit nur beleuchteten Fahrzeugen zu begegnen, besteht nur in Grenzen. Insbesondere kommt auch dieser Vertrauensgrundsatz demjenigen nicht zugute, der sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt.
Rz. 66
OLG Hamm
Ist ein Kfz mit einem Anhänger unterwegs, geht von dieser Kombination eine erhöhte Betriebsgefahr aus (Länge, Schwerfälligkeit, langsame Fahrweise). Biegt ein solcher Zug nach links ab, wirkt sich diese erhöhte Betriebsgefahr bei einem Unfall mit einem überholenden Kfz aus, da ein Kfz ohne Anhänger zügiger abgebogen wäre. Dem Linksabbieger wird außerdem ein Verstoß gegen die zweite Rückschaupflicht vorgeworfen. Der Überholende haftet allerdings zu 70 %, weil er in einer auf 40 km/h beschränkten Baustelle mit 100 km/h unterwegs gewesen war.
Rz. 67
OLG Brandenburg
Kann ein links abbiegender Kfz-Führer ein entgegenkommendes Motorrad wegen Sichtbehinderung durch eine Brückenkuppe nicht wahrnehmen, haftet der Motorradfahrer zu 20 % mit. In diesem Fall ist eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmen, nachdem der Motorradfahrer nicht nachweisen konnte, dass der Unfall auch bei Anwendung der äußerst möglichen Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Dem Autofahrer ist ein Verstoß gegen § 9 Abs. 4 StVO vorzuwerfen. Er hatte wegen der Kuppe vor dem Abbiegevorgang zwar allenfalls den Kopf des Motorradfahrers sehen können, beim Abbiegevorgang war der Motorradfahrer jedoch voll sichtbar, so dass der Kfz-Führer den Abbiegevorgang hätte abbrechen können.
Rz. 68
KG
Der Anscheinsbeweis der Verletzung der aus § 9 Abs. 3 S. 2 StVO folgenden Wartepflicht des Linksabbiegers wird durch die überhöhte Geschwindigkeit des Bevorrechtigten nicht erschüttert und schränkt auch den Vorrang des entgegenkommenden Verkehrs nicht ein. Überschreitet der entgegenkommende Bevorrechtigte die innerorts zulässige Geschwindigkeit mit (mindestens) 80 km/h deutlich, bleibt es beim Mitverschulden des Wartepflichtigen. Wegen der überhöhten Geschwindigkeit des Bevorrechtigten haftet dieser jedoch zu ⅔.
Rz. 69
KG
Kommt es in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zu einer Kollision zwischen einem Li...