Rz. 344
Rz. 345
BGH
Hat die Nichteinhaltung des gebotenen Sicherheitsabstands den Unfall mit verursacht, ist der Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile grundsätzlich gegenüber jedem Mitverursacher zu berücksichtigen. Wer im Straßenverkehr auf den Vorausfahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Dieser wird nach allgemeinen Grundsätzen nur dadurch erschüttert, dass ein atypischer Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Lichte erscheinen lässt, von dem Auffahrenden dargelegt und bewiesen wird.
Rz. 346
BGH
Auch bei Unfällen auf der Autobahn, die durch Auffahren passieren, kann der erste Anschein für ein zu dichtes Auffahren, die Unaufmerksamkeit oder die unangepasste Geschwindigkeit und damit schuldhaftes Verhalten des Auffahrenden sprechen. Der Auffahrunfall reicht als Grundlage für den Anscheinsbeweis jedoch dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die – wie etwa ein vor dem Auffahrunfall vorgenommener Fahrspurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs – als Besonderheit gegen die bei derartigen Unfällen gegebene Typizität sprechen. Bestreitet der Vorausfahrende den Spurwechsel und kann der Auffahrende diesen nicht beweisen, bleibt es bei der Haftung zu 100 % des Auffahrenden. Der Vorausfahrende muss nicht beweisen, dass er keinen Fahrspurwechsel vorgenomen hat.
Rz. 347
OLG Hamm
Fährt ein mit zu geringem Sicherheitsabstand fahrender Motorradfahrer auf einer Autobahnausfahrt auf einen unerwartet stark bremsenden Pkw auf, da der Pkw-Führer eines Automatikfahrzeugs die Bremse für eine Kupplung hält, haften beide Seiten jeweils zu 50 %. Zum Auffahren war es gekommen, weil der Motorradfahrer den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hatte.
Rz. 348
OLG Hamm
Ist die Warnblinkanlage wegen Abschleppens nach § 15a StVO eingeschaltet, muss die Abbiegeabsicht ggf. behelfsmäßig angekündigt werden. Dies hätte der Fahrer des ziehenden Fahrzeugs durch kurzzeitiges Abschalten der Warnblinkanlage und Setzen des Blinkers und durch rechtzeitiges Einfahren unter Verlangsamung auf die Abbiegespur tun können. Das abgeschleppte Fahrzeug fällt hier auch in den Schutzbereich des § 9 Abs. 1 StVO, denn es handelt sich um "nachfolgenden Verkehr". Der Fahrer des gezogenen Fahrzeugs hat sich nicht der Fahrweise des ziehenden Fahrzeugs angepasst, wozu er verpflichtet gewesen wäre. Er ist nicht spurgerecht gefolgt und hat so die Instabilität verursacht.
Rz. 349
OLG Celle
Den Fahrer eines Anhängergespanns trifft aufgrund der Betriebsgefahr des Anhängers eine Haftung in Höhe von 20 %, wenn an seinem Anhänger ein Reifen platzt und es hierdurch zu einem Auffahrunfall hinterherfahrender Fahrzeuge kommt. Die Haftung ist nicht gem. § 17 Abs. 3 S. 1 StVG ausgeschlossen, da der Unfall auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Anhängers bzw. einem Versagen einer Vorrichtung des Anhängers beruht. Denn nur wegen des Platzens des hinteren Reifens des Anhängers ist es zu dem Abbremsen der Zeugin R und dem Auffahren des Zeugen S auf den Pkw gekommen.
Rz. 350
OLG Celle
Auch ein Idealfahrer muss zum vorausfahrenden Kfz nicht einen so großen Sicherheitsabstand einhalten, dass er keinesfalls auf das vorausfahrende Kfz aufgeschoben wird, wenn ein schweres Kfz mit erheblicher Geschwindigkeit auf sein Fahrzeug auffährt. Der Fahrer des aufschiebenden Kfz haftet zu 100 %.
Rz. 351
OLG Celle
Fährt ein Fahrzeug (2) auf ein schräg zur Fahrbahn stehendes Fahrzeug (1) nachts auf, haftet Fahrer (2) aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu 20 %. Für Fahrer (1) ist zu berücksichtigen, dass dessen Pkw unbeleuchtet nach einem selbst verschuldeten Unfall auf der mittleren von drei Autobahnfahrstreifen liegen geblieben war. Dadurch, dass das Fahrzeug schräg stand, waren dessen Rücklichtreflektoren für den nachfolgenden Verkehr nur schwer erkennbar. Hinzu kommt, dass Fahrer (1) eine weitere Gefahr schuf, indem er dem nachfolgenden Verkehr am äußersten Fahrbahnrand des linken Fahrstreifens entgegen lief, um diesen zu warnen. Dies brachte es mit sich, dass Fahrer (2) damit befasst war, dem Fußgänger auszuweichen. Dieses Verhalten ist dem Fahrer (2) so wenig vorwerfbar, dass es bei der Haftung aus der Betriebsgefahr verbleibt.
Rz. 352
OLG Brandenburg
Bei einer plötzlichen Vollbremsung des Vordermannes hat der auffahrende Hintermann nur dann einen Anspruch, wenn die Bremsung willkürlich war. Da im Verkehr mit dem plötzlichen Bremsen des Vordermannes grundsätzlich gerechnet werden muss, ist unter einem starken Abbremsen i.S.d. vorgenannten Vorschrift ein Bremsvorgang zu verstehen, der deutlich über das Maß eines "normalen" Bremsmanövers hinausgeht. Dem auffahrenden Motorradfahrer ist ein Verstoß gegen die Abstandsvorschriften des § 4 Abs. 1 S. 1 StVO anzulasten, da er als an dritter Position mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h Fahrender zu dem Vordermann nur eine...