Rz. 136

 

Rz. 137

KG[131]

Ein Fahrzeugführer (1), der zum Linksabbiegen/Wenden ansetzt, haftet im Fall der Kollision mit einem ordnungsgemäß überholenden Kfz (2) grundsätzlich zu 100 %. Die Betriebsgefahr des überholenden Fahrzeugs (2) tritt zurück. Der Blinker ist nur dann rechtzeitig gesetzt, wenn sich der nachfolgende Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann. Maßgeblich hierfür ist die Zeit zwischen Anzeigebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrgeschwindigkeit, weniger die Entfernung vom Abbiegepunkt. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h reichen 5 Sekunden, also 41,5 m, vor dem Abbiegen.[132]

 

Hinweis

Definition unklare Verkehrslage: Eine unklare Verkehrslage ist gegeben, wenn nach allen Umständen mit ungefährdetem Überholen nicht gerechnet werden kann. Insbesondere ist dies der Fall, wenn am vorausfahrenden Fahrzeug der linke Blinker betätigt ist, dies der nachfolgende Verkehr erkennen kann und dem überholenden Fahrzeugführer noch ein angemessenes Reagieren – ohne Vollbremsung – möglich ist. Alleine das Verringern der Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs und die allmähliche Einordnung zur Fahrbahnmitte lassen nicht auf eine unklare Verkehrslage schließen.

 

Rz. 138

KG[133]

Wechselt der zunächst im rechten Fahrstreifen fahrende Kl. zum Zwecke des Wendens auf den linken Fahrstreifen, obwohl er den dort herannahenden Beklagten bemerkt hatte, und fährt dieser dann mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von circa 80 km/h gegen das Heck des abbremsenden Klägerfahrzeugs, haftet er zu 50 %, wenn der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte vermieden werden können.

 

Rz. 139

KG[134]

Kollidiert ein Linksabbieger mit einem Überholer, muss er nachweisen, dass und weshalb er ein Überholen des Nachfolgenden habe ausschließen können. Bloßes korrektes Einordnen und Zeichengeben befreit nicht von der zweiten Rückschau. Beginnt der Linksabbieger mit dem Abbiegevorgang, ohne zweite Rückschau und ohne das weitere Verhalten des Nachfolgenden abzuwarten, haftet er zu ⅓. Es kommt nicht darauf an, ob das überholende Fahrzeug für den Abbieger im Moment des Ansetzens zum Linksabbiegen bzw. Wenden als Überholer erkennbar war. Innerorts ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass Fahrzeuge auch dann überholen, wenn eine Absicht des Vorausfahrenden zum Abbiegen bzw. Wenden angezeigt ist. Der Linksabbieger muss deshalb bei nahe aufgerücktem Nachfolgeverkehr mit dem Abbiegen warten.

 

Rz. 140

OLG Brandenburg[135]

Kommt es bei einem Wende- bzw. Linksabbiegevorgang zu einem Unfall mit dem nachfolgenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Wendenden bzw. Abbiegenden. Er hat § 9 Abs. 1 StVO nicht beachtet und haftet zu 100 %. Selbst wenn der Abbiegende vorher seine Geschwindigkeit verlangsamt hatte, spricht dies nicht für eine unklare Verkehrslage. Hierzu müssten weitere Umstände hinzutreten, die auf ein unmittelbar bevorstehendens Linksabbiegen hindeuten.

 

Rz. 141

OLG Brandenburg[136]

Kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen einem zwei Kfz überholenden und einem links abbiegenden Kfz haftet der Linksabbieger zu 100 %. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Linksabbieger nicht geblinkt hatte. Unter diesen Umständen konnte sich der nachfolgende Verkehr nicht auf den Abbiegevorgang einstellen. Hierfür ist die Zeit zwischen Anzeigenbeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit entscheidend und weniger die Entfernung zum Abbiegepunkt. Unter den oben angegebenen Umständen ist dem Überholenden kein eigener Verkehrsverstoß vorzuwerfen.

 

Rz. 142

OLG Celle[137]

Das Erfordernis der erhöhten Aufmerksamkeit wegen einer unübersichtlichen Verkehrslage entsteht nicht schon dadurch, dass der Fahrer eines vorausfahrenden Kfz die Geschwindigkeit herabsetzt und sich rechts einordnet. Insbesondere kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Fahrer das Fahrzeug unter Verstoß gegen Verkehrsregeln für ein Abbiege- oder Wendemanöver nach links lenken wird. Es liegt ein gravierendes Verschulden des Fahrzeugführers vor, der verbotenerweise nach links abbiegen oder sogar wenden wollte. Er hat gleich drei verschiedene Verkehrsverstöße begangen. Zum einen hat er an einer Stelle wenden wollen, an der dies schon deswegen verboten war, weil er dafür eine schraffierte Sperrfläche überfahren musste. Zum anderen hat er seiner zweiten Rückschaupflicht unmittelbar vor dem Beginn des Wendemanövers nicht Genüge getan. Zum Dritten hat der Abbiegende seiner besonderen Sorgfaltspflicht beim Wenden nicht Genüge getan.

 

Rz. 143

OLG Celle[138]

Ein langsamer fahrendes Fahrzeug (1) darf innerhalb der zulässigen Höchstgeschwindigkeit grundsätzlich überholt werden. Erst dann, wenn hinreichend deutlich wird, dass der langsamer fahrende Verkehrsteilnehmer (1) den Weg des überholenden Fahrzeugs (2) durch Abbiegen oder Wenden kreuzen will, ist der Überholende gewarnt und hat vom Überholen Abstand zu nehmen oder andere Vorsichtsmaßnahmen einzuleiten. Eine langsame Fahrt eines Verkehrsteilnehmers mit lediglich einer Mö...

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