Rz. 1891

 

Rz. 1892

LG Saarbrücken[1765]

Der fehlerhaft Überholende (1) haftet bei einer Kollision mit einem Entgegenkommenden (2), der erheblich zu schnell fährt, zu ⅔. Für den gefahrlosen Ablauf des Überholvorgangs ist vorrangig der Überholende verantwortlich.

 

Rz. 1893

BGH[1766]

Das Überholen ist unzulässig, wenn ein Verkehrsteilnehmer, dessen Sicht auf eine Straßenkreuzung durch ein vorausfahrendes Fahrzeug und wegen einer Straßenkrümmung verdeckt ist, den Verkehrsraum vor sich nicht voll übersehen kann. Der Fahrer (1) darf sich nicht darauf verlassen, dass wartepflichtige Verkehrsteilnehmer (2), die auf einer untergeordneten Straße herannahen, während des Überholvorgangs nicht in die bevorrechtigte Straße einbiegen. Ein Wartepflichtiger (1), der wegen der Straßenführung die auf der Vorfahrtstraße herannahenden, von einem vorausfahrenden Fahrzeug verdeckten Verkehrsteilnehmer nicht sehen kann, muss seinerseits mit dem Einbiegen in die bevorrechtigte Straße nach rechts solange warten, bis er den Verkehrsraum dort ausreichend übersehen kann. Er kann sich nicht darauf verlassen, dass hinter einem die Sicht verdeckenden Fahrzeug keine Verkehrsteilnehmer zum Überholen ansetzen. Beide Fahrzeugführer haften in einer solchen Situation zu 50 %.

 

Rz. 1894

OLG Celle[1767]

Gegenüber dem groben Verschulden eines Fahrzeugführers im Rahmen eines waghalsigen Überholmanövers vor einer nicht einsehbaren Rechtskurve können im Einzelfall die Betriebsgefahr des überholten Lkw sowie ein zusätzliches Verschulden des Führers des Lkw wegen nicht unerheblicher 20 %-iger Überschreitung (72 km/h statt erlaubter 60 km/h) der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zurücktreten. Die überholende Fahrerin haftet zu 100 %. Die kritische Verkehrssituation beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann.

 

Rz. 1895

OLG Celle[1768]

Kollidiert der mit 120 km/h auf einer Landstraße Überholende (1) beim Abbrechen des Überholvorgangs mit dem 110 km/h einhaltenden Pkw (3) und anschließend mit dem Pkw (2), so haftet der Überholende (1) zu 100 %, wenn die übersehbare Strecke nur 600 m beträgt und damit eine Behinderung des Gegenverkehrs nicht ausgeschlossen ist.

 

Hinweis

Der BGH hat die Revision durch Beschl. v. 25.5.1993 (Az. VI ZR 224/92) nicht angenommen.

 

Rz. 1896

LG Saarbrücken[1769]

Steht ein Überholvorgang im Zusammenhang mit einem Spurwechsel, ist grundsätzlich § 7 Abs. 5 StVO anwendbar. Diese Vorschrift wird ergänzt durch die Anwendung des § 5 Abs. 4 StVO. Während § 5 Abs. 4 S. 4 StVO den Überholer verpflichtet, den Überholten beim Wiedereinscheren nicht zu behindern, trifft denjenigen, der beim Wiedereinscheren einen erneuten Spurwechsel vornimmt, weiterhin die höchstmögliche Sorgfalt. Dies gilt nicht nur gegenüber dem Überholten, sondern auch gegenüber allen anderen Fahrzeugen auf der daneben liegenden Fahrspur. Es ist anerkannt, dass ein Verstoß gegen § 7 Abs. 4 StVO zu einer Haftung zu 100 % des Spurwechslers führt.

 

Rz. 1897

LG Saarbrücken[1770]

Der Fahrer (1), der ein riskantes Überholmanöver einleitet und deswegen eine Vollbremsung vornehmen muss, sodass sein Wagen ausbricht und gegen ein auf der Gegenfahrbahn entgegenkommendes Fahrzeug (2) fährt, haftet für den Schaden zu 100 %. Bereits während des Ausscherens auf die linke Fahrbahn hat der Fahrer (1) seinen Wagen so geführt, dass eine Gefährdung des Gegenverkehrs nur dadurch hätte verhindert werden können, dass er unter voller Verzögerung seines Wagens mittels einer Vollbremsung wieder auf die rechte Fahrbahn einschert. Eine Vollbremsung dient jedoch regelmäßig der konkreten Gefahrenabwehr.

 

Rz. 1898

LG Tübingen[1771]

Kollidieren ein Motorradfahrer, der mit leicht überhöhter Geschwindigkeit eine Fahrzeugkolonne passiert, und ein Kfz-Fahrer, der aus der Kolonne heraus nach links abbiegt, so haften die Unfallbeteiligten zu je 50 %. Bei der Abwägung der Betriebsgefahren fällt den Überholenden die überhöhte Geschwindigkeit zur Last. Er muss sich außerdem das Überholen trotz unklarer Verkehrslage bei einer stockenden Kolonne anrechnen lassen. Im Übrigen hatte ihn ein Verkehrsschild auf die Gefahr durch Linksabbieger hingewiesen. Er musste deshalb besondere Sorgfalt walten lassen.

[1765] zfs 1992, 78.
[1766] DAR 1996, 214 bei v. Gerlach = DAR 1996, 11 = EBE/BGH 1995, 373 = MDR 1996, 47 = NJW 1996, 60 = NZV 1996, 27 = VersR 1995, 1460 = VM 1996, 41 = ZAP Fach 9 R 140 bei Ludovisy = zfs 1996, 47.
[1767] VRS 112, 7.
[1768] NZV 1993, 437 = r+s 1993, 336 = SP 1993, 378 = VersR 1993, 1291 = VRS 86, 31.
[1769] Urt. v. 10.2.2017 – 13 S 140/16, NJW 2017, 3395.
[1770] FS 11/2003, 27 = VRUNDSCH 44/2003, 36.
[1771] SVR 2013, 181.

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