Rz. 88
Das Gericht stellt dem anderen Elternteil den Antrag auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu und setzt ihm eine Frist zur Stellungnahme. Wenn das Kind noch nicht geboren ist, darf die Frist für die Mutter frühestens sechs Wochen nach der Geburt des Kindes enden, § 155a Abs. 2 FamFG. Das bedeutet in seiner Konsequenz auch, dass eine gerichtliche Entscheidung auch erst frühestens sechs Wochen nach der Geburt des Kindes ergehen wird. Eine Fristverlängerung ist möglich. Bis zum Zeitpunkt der Entscheidung, die erst nach Ablauf der möglichen Fristen ergehen wird, hat allein die Mutter die elterliche Sorge. Sie kann in dieser Zeit demnach ohne Zustimmungserfordernis des anderen Elternteils Entscheidungen, die elterliche Sorge betreffend, treffen. Das kann im Einzelfall bedeutend sein für medizinische Belange wie Impfen oder ärztliche Eingriffe, aber auch für Fragen des Aufenthalts oder der Religion. Eine Rückwirkung der elterlichen Sorge erfolgt nicht, wie oben ausgeführt, weshalb eine Korrektur der einmal getroffenen Entscheidungen mit Rückwirkung nicht möglich ist.
Rz. 89
Der Elternteil, dem der Antrag zugestellt wird, hat innerhalb der ihm gesetzten Frist Gelegenheit, zu dem Antrag Stellung zu nehmen. Nimmt er innerhalb dieser Frist keine Stellung, trägt er keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen, § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB. Soweit auch keine anderen Gründe für das Gericht ersichtlich sind, wird das Gericht dann nach § 155a Abs. 3 FamFG ohne schriftliche Anhörung des Jugendamtes und ohne persönliche Anhörung der Eltern im schriftlichen Verfahren entscheiden. Da aber § 159 FamFG in § 155a FamFG genannt ist, eine Einschränkung diesbezüglich also nicht vorliegt, ist aber das Kind auch in diesem Fall persönlich anzuhören. Hierauf kann nicht verzichtet werden. Gründe, die einer Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen, sind dem Gericht beispielsweise bereits dann im Sinne des § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB ersichtlich, wenn sich aus der Antragsschrift Anhaltspunkte entnehmen lassen, die auf eine nicht vorhandene Einvernehmlichkeit zwischen den Eltern die Frage des Sorgerechts betreffend hindeuten. Dann darf das Gericht nicht ins vereinfachte Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG überleiten. Würde es dies trotzdem tun, läge ein Verfahrensfehler vor.
Rz. 90
Versäumt ein Elternteil die ihm gesetzte Frist zur Stellungnahme, so ist diese trotzdem noch bis zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses zu berücksichtigen. Das ist der Zeitpunkt, zu dem der Beschluss entweder verlesen oder an die Geschäftsstelle übergeben wird, § 38 Abs. 3 S. 3 FamFG.
Rz. 91
Hinweis
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Sollte die Frist zur Stellungnahme versäumt sein, so kann versucht werden, bei der Geschäftsstelle des Gerichts nachzufragen, ob der Beschluss bereits dort angelangt ist, also bereits erlassen ist. |
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Ist der Beschluss noch nicht erlassen, dann können trotz Ablauf der Stellungnahmefrist zu berücksichtigende Tatsachen vorgetragen werden. |
Rz. 92
Geht das Gericht zu Unrecht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Einleitung des vereinfachten Verfahrens vorliegen, liegt ein Verfahrensmangel vor. Dann hätten sowohl Eltern als auch das Jugendamt angehört werden müssen. Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG gegen den Beschluss ist möglich. Die Sache ist unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges, also das Amtsgericht, zurückzuverweisen, § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG.
Rz. 93
Nimmt der Elternteil Stellung oder sind dem Gericht sonst Gründe bekannt, die gegen die Begründung der elterlichen Sorge sprechen, dann wird das reguläre Verfahren durchgeführt. Da beispielsweise auf eine Anhörung des Kindes auch im vereinfachten Verfahren nicht verzichtet wird, besteht die Möglichkeit, dass das Gericht auf diesem Wege von entsprechenden Gründen erfährt. Das Gericht hat dann binnen Monatsfrist zu terminieren, das Jugendamt ist schriftlich, die Eltern sind persönlich anzuhören.