Rz. 69
Rechtsdienstleister müssen nicht nur vertragliche Ansprüche beitreiben, sondern auch solche aus unerlaubter Handlung, d.h. sogenannte deliktische Ansprüche. Regelmäßig stehen solche Ansprüche auch neben einander, d.h. in echter Anspruchskonkurrenz. Vertragliche und deliktische Ansprüche müssen in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen dann jeweils selbstständig geprüft werden.
Beispiel
Der Schuldner erwirbt eine teure Musikanlage, obwohl er erst zwei Wochen zuvor die Vermögensauskunft abgegeben hat und darin seine aktuelle Zahlungsunfähigkeit dokumentiert wurde. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war für den Zeitpunkt der Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung keine Besserung der Einkommens- oder Vermögenslage zu erkennen. Neben dem Anspruch aus dem Kaufvertrag auf Zahlung des Kaufpreises besteht nun auch noch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.
Der Schuldner nutzt den öffentlichen Nahverkehr, ohne sich einen Fahrschein zu kaufen. Nach juristischer Diktion erschleicht er sich eine Leistung. In der Sache ist durch das Besteigen des ÖPNV konkludent ein Beförderungsvertrag zustande gekommen. Zugleich besteht ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 265a StGB als deliktischem Anspruch auf das erhöhte Beförderungsentgelt.
Zu sehen ist, dass eine vertragliche Pflichtverletzung noch nicht zwingend eine unerlaubte Handlung darstellt. Vielmehr muss die Pflichtverletzung auch zur Verletzung eines der absoluten in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechts geführt haben oder ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verletzen oder gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB verstoßen.
Der Vorteil des Gläubigers liegt darin, dass er sich auf die für ihn günstige Anspruchsgrundlage konzentrieren kann, d.h. die Anspruchsgrundlage, die
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am leichtesten nachzuweisen ist; |
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die gewünschte Rechtsfolge präsentiert; |
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weitere Privilegierungen mit sich bringt. |
Beispiel
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB privilegiert den Gläubiger bei der Pfändung von Arbeitslohn nach § 850f Abs. 2 ZPO, weil dann die Pfändungsfreigrenzen nicht gelten. Wird die Forderung in dieser Weise im Insolvenzverfahren angemeldet, nimmt sie nicht an der Restschuldbefreiung teil, § 302 InsO.
Allerdings wird dies mit dem Nachteil erkauft, dass die Feststellung, dass die Forderung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung stammt, im gerichtlichen Mahnverfahren nicht tituliert werden kann, sondern es einer kostenintensiveren Feststellungsklage bedarf. Die Vor- und Nachteile müssen im Einzelfall abgewogen werden.
Es kommt eine Vielzahl von Konstellationen in Betracht, wo vertragliche Ansprüche neben deliktischen Ansprüchen stehen. Es würde den Rahmen dieser auf die Rechtsfolgen konzentrierten Abhandlung sprengen, hier eine umfassende Darstellung zu versuchen. Insoweit wird auf die Kommentarliteratur zu §§ 823 ff. BGB verwiesen.
Für die Frage der Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten ist wesentlich, dass auch ein Schadensersatzanspruch nach §§ 823, 826 BGB einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Rechtsverfolgungskosten gibt. Nach § 249 Abs. 1, Abs. 2, S. 1 BGB sind diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Dies gilt bei unerlaubten Handlungen wie bei vertraglichen Ansprüchen auch in Bezug auf einfach gelagerte Fälle. In diesen Fällen ist – so der BGH für vertragliche Ansprüche – die Beauftragung eines Rechtsdienstleisters mit der Forderungsbeitreibung regelmäßig erforderlich und zweckmäßig, soweit der Gläubiger das seinerseits Erforderliche getan hat. Da deliktische Ansprüche sehr viel schwieriger festzustellen sind, als vertragliche Ansprüche, muss diese Sichtweise übertragen werden. Der Gläubiger kann seinem Erfüllungsverlangen durch Einschaltung eines Rechtsdienstleisters Nachdruck verleihen.
Insoweit ergibt sich kein Unterschied zum Ersatzanspruch beim Eintritt des Verzuges, so dass die entsprechenden Ausführungen zum Schadensumfang nachfolgend zusammengefasst werden können.