Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 365
Ein bedeutsamer Unterschied zwischen ENZ und dem deutschen Erbschein ergibt sich aus Art. 70 ErbVO im Vergleich zur Rechtslage nach deutschem Recht nach § 2353 BGB/§ 352 FamFG. Der deutsche Erbschein ist erteilt, wenn er in Urschrift dem Antragsteller, einem von mehreren Antragstellern oder auf deren Antrag einem Dritten ausgehändigt, zugesandt oder zugestellt wird.
Das Nachlassgericht kann auch die Urschrift bei seinen Akten behalten. In diesem Falle wird eine Ausfertigung ausgehändigt, beide Wege bewirken die körperliche (und damit tatsächliche) Erteilung des Erbscheins. Die Erteilung des Erbscheins ist Voraussetzung für die Entfaltung der Wirkungen des Erbscheins (Richtigkeitsvermutung nach § 2365 BGB und öffentlicher Glaube nach § 2366, 2367 BGB).
Eine beglaubigte Abschrift ist der Urschrift oder der Ausfertigung dagegen nicht gleichzustellen; wird nur eine solche herausgegeben, ist der Erbschein nicht erteilt.
Rz. 366
Die ErbVO beschreitet hier für die Erteilung des ENZ andere Wege: Gem. Art. 70 Abs. 1 ErbVO wird die Urschrift des ENZ stets bei der Ausstellungsbehörde verwahrt, also nicht selbst ausgehändigt. Es wird auch keine Ausfertigung herausgegeben, sondern dem Antragsteller (und jeder anderen Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist), werden nur eine oder mehrere beglaubigte Abschriften des ENZ ausgestellt.
Die beglaubigten Abschriften sind gem. Art. 70 Abs. 3 S. 1 ErbVO nur für einen begrenzten Zeitraum von (grundsätzlich) sechs Monaten gültig. Nach dem Ablaufdatum verliert die beglaubigte Abschrift ihrer Gültigkeit. Das Ablaufdatum ist in der beglaubigten Abschrift angegeben.
Rz. 367
Soll das ENZ nach Ablauf der Gültigkeitsfrist verwendet werden, muss entweder eine Verlängerung der Gültigkeitsfrist der beglaubigten Abschrift oder eine neue beglaubigte Abschrift bei der Ausstellungsbehörde beantragt werden (Art. 70 Abs. 2 S. 2 ErbVO).
Vor diesem Hintergrund ist die Regelung zu sehen, die das IntErbRVG in seinen § 39 und § 40 trifft. Eine beglaubigte Abschrift wird grundsätzlich nur dem Antragsteller ausgestellt (und nur ausnahmsweise ggf. anderen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen). Die Gültigkeitsfrist beginnt gemäß § 42 IntErbRVG mit ihrer Erteilung. Gemäß § 41 IntErbRVG ist der Eintritt der Wirksamkeit des ENZ nicht an die Bekanntgabe (§ 40 IntErbRVG) geknüpft, sondern an die Übergabe an die Geschäftsstelle zum Zwecke der Bekanntgabe.
Rz. 368
Art. 70 Abs. 3 S. 2 ErbVO sieht für begründete Ausnahmefälle die Möglichkeit vor, dass die Ausstellungsbehörde eine längere Gültigkeitsfrist beschließen kann.
Art. 70 Abs. 2 ErbVO bestimmt darüber hinaus, dass die Ausstellungsbehörde ein Verzeichnis über die Personen zu führen hat, denen beglaubigte Abschriften ausgestellt wurden.
Rz. 369
Die beglaubigten Abschriften dürfen also nur von der Ausstellungsbehörde – in Deutschland vom Nachlassgericht – erteilt werden, hier besteht insofern ein Ausstellungsmonopol. Dieses Konzept in Verbindung mit dem Ablaufdatum soll sicherstellen, dass keine unrichtigen ENZ zirkulieren, bzw. die Ausstellungsbehörde stets neu überprüfen kann, ob das ENZ nicht unrichtig geworden ist. Der von Art. 69 Abs. 3 und 4 ErbVO vorgesehene Gutglaubensschutz wird also jeweils an die noch gültige beglaubigte Abschrift geknüpft.
Rz. 370
Z.T. wird generell bezweifelt, dass dieses Konzept des Verfalls der beglaubigten Abschrift und damit die jeweils zeitlich begrenzte Entfaltung des guten Glaubens praxistauglich sind. Die Verfügung über Nachlassgegenstände im Ausland ist zeitaufwändig; der Erbe muss daher gegebenenfalls wiederholt Anträge auf Verlängerung der Gültigkeitsfrist stellen oder jeweils neue beglaubigte Abschriften beantragen (Art. 70 Abs. 3 S. 3 ErbVO).