Rz. 61
Auch anfechtbare oder angefochtene Beschlüsse sind, solange sie nicht rechtskräftig für ungültig erklärt wurden, wirksam und auszuführen (→ § 10 Rdn 260); eine Anfechtungsklage hat keine aufschiebende Wirkung. Gegen den Vollzug kommt aber einstweiliger Rechtsschutz in Betracht. Anwendungsfälle sind vor allem die fehlerhafte Verwalterwahl (→ § 10 Rdn 78), unbefugt einberufene Eigentümerversammlungen (→ § 7 Rdn 18) und bevorstehende Baumaßnahmen, die auf fehlerhaften Beschlüssen beruhen. Die prozessualen Fragen werden im folgenden Fall am Beispiel des Baustopps erörtert.
Rz. 62
Beispiel
Aus dringendem Anlass wird eine teure Dachsanierung beschlossen, allerdings ohne die Miteigentümer in der Versammlung ausreichend zu informieren und ohne Vorlage von Vergleichsangeboten. A erhebt gegen den Beschluss Anfechtungsklage und fordert den Verwalter auf, von der Auftragserteilung bis zur Entscheidung über die Anfechtungsklage abzusehen. Der Verwalter schickt sich (pflichtgemäß) gleichwohl an, die Sanierung zu beauftragen. A möchte dies verhindern.
Rz. 63
Muster 2.5: Antrag auf einstweilige Regelungsverfügung
Muster 2.5: Antrag auf einstweilige Regelungsverfügung
An das Amtsgericht
Namens und in Vollmacht des
Achim Acker, Heinestraße 12, 75234 Musterstadt,
– Antragsteller –
beantrage ich – wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung – den Erlass einer
einstweiligen Regelungsverfügung gem. §§ 43 Abs. 2 Nr. 2 WEG, 935 ZPO
gegen
die Wohnungseigentümergemeinschaft Heinestraße 12, 75234 Musterstadt,
vertreten durch die WEG-Verwalterin X-Immobilien GmbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer Xaver Xentis, Zenstraße 5, 75234 Musterstadt
– Antragsgegnerin –
des Inhalts:
1. |
Der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 12.5.2022 zu TOP 3 (Dachsanierung) wird bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die dagegen erhobene Anfechtungsklage (Az.:27 C 08/22) einstweilen außer Kraft gesetzt. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Beschluss ausführen zu lassen. |
2. |
(Androhung Ordnungsgeld → § 3 Rdn 74) |
Rz. 64
Zuständig ist gem. § 937 ZPO das Gericht der Hauptsache, hier also das Amtsgericht am Ort der Wohnanlage. Voraussetzung für den Erlass der einstweiligen Verfügung ist das Vorliegen eines Verfügungsanspruches (= Anspruchsgrundlage für die beantragten Maßnahmen) und eines Verfügungsgrundes (= Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit). Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 18 Abs. 2 WEG (Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung). Ein Verfügungsgrund wird von der bislang sehr restriktiven h.M. nur anerkannt, wenn mindestens eine der beiden folgenden Voraussetzungen vorliegt, die der Antragsteller glaubhaft machen muss:
▪ |
Der bei Durchführung des Beschlusses entstehende Schaden ist irreversibel oder zumindest erheblich größer als der bei Nichtausführung entstehende. |
▪ |
Die Rechtswidrigkeit des Beschlusses ist offenkundig (str.). |
Rz. 65
Bei der Entscheidung findet eine Abwägung der beiderseitigen Interessen statt. Die restriktive Vorgehensweise der Gerichte beruht auf der Annahme, es sei die (angebliche) Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen, wonach die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat und demnach auch angefochtene Beschlüsse zu vollziehen sind. Allerdings gibt es die behauptete "Grundsatzentscheidung" des Gesetzgebers nicht; dass Beschlüsse gem. § 23 Abs. 4 S. 2 WEG zunächst einmal (bis zur gerichtlichen Aufhebung) gültig sind, sagt nichts darüber aus, unter welchen Voraussetzungen sie einstweilen zu suspendieren sind. Angesichts dessen, dass durchgeführte Beschlüsse Tatsachen schaffen, deren Rückgängigmachung trotz des anerkannten "Folgenbeseitigungsanspruchs" (→ § 2 Rdn 72) fast immer unterbleibt, sind die vor der Beschlusssuspendierung aufgebauten Hürden viel zu hoch.
Rz. 66
Im obigen Beispielsfall (→ § 2 Rdn 62) dürfte der Antrag begründet sein: Zwar ist die Abdichtung dringend; der Beschluss ist aber wegen offenkundig rechtswidrig (zur Informationspflicht → § 4 Rdn 14, zu Vergleichsangeboten → § 4 Rdn 11) und mit den Arbeiten wurde noch nicht begonnen. Anders wäre es, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung die Arbeiten schon fortgeschritten wären; dann müsste der Antrag zurückgewiesen werden.
Rz. 67
Tipp
Ein Antrag auf Baustopp im Wege einstweiliger Verfügung hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn er vor Baubeginn gestellt wird. Wird der Antrag rechtzeitig gestellt, aber nicht rechtzeitig positiv beschieden, bleibt dem Antragsteller nach dem Beginn bzw. ab einem gewissen Fortschritt der Arbeiten nur noch die Erledigterklärung, um wenigstens eine günstige Kostenentscheidung zu erwirken.
Rz. 68
Das Verfahren der einstweiligen Verfügung ist ein selbstständiges gerichtliches Verfahren, nicht etwa ein Annex des Hauptsacheverfahrens. Der BGH hat insoweit zwar einmal mit der Behauptung, die einstweilige Verfügung könne "im Rahmen eines anhängigen Hauptsacheverfahrens" erlassen werden, für eine gewisse Verwirrung gesorgt. Es unterliegt aber keinem Zweifel, dass das Verfahren nur durc...