Rz. 96
In der Rechtsprechung war lange Zeit umstritten, ob sich die Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe für den Mehrwert eines Vergleichs nur auf die Einigungsgebühr(en) erstreckt, oder auch auf die Verfahrensdifferenzgebühr nach Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG sowie auf die Terminsgebühr.
Rz. 97
Kontrovers wurde diese Frage vor allem in der Familiengerichtsbarkeit beantwortet.
Rz. 98
Beispiel:
In einem Unterhaltsverfahren war dem Antragsteller Verfahrenskostenhilfe bewilligt und seine Anwältin beigeordnet worden. Im Termin wurde ein Vergleich über den Unterhalt geschlossen (Monatsbetrag: 800,00 EUR) sowie über eine streitige Forderung auf Gesamtschuldnerausgleich i.H.v. 5.000,00 EUR. Die Bewilligung und Beiordnung wurden sodann auf den Mehrwert des Vergleichs erstreckt.
Die Anwältin rechnete daraufhin wie folgt ab (altes Recht):
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, § 49 RVG, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 9.600,00 EUR) |
399,10 EUR |
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2. |
0,8-Verfahrensgebühr, § 49 RVG, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert: 5.000,00 EUR) |
205,60 EUR |
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gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 14.600,00 EUR (§ 49 RVG) |
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435,50 EUR |
3. |
1,2-Terminsgebühr, § 49 RVG, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 14.600,00 EUR) |
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402,00 EUR |
4. |
1,0-Einigungsgebühr, § 49 RVG, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 9.600,00 EUR) |
307,00 EUR |
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5. |
1,5-Einigungsgebühr, § 49 RVG, Nr. 1000 VV RVG (Wert: 5.000,00 EUR) |
385,50 EUR |
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gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 14.600,00 EUR (§ 49 RVG) |
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502,50 EUR |
6. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.360,00 EUR |
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7. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
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258,40 EUR |
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Gesamt |
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1.618,40 EUR |
Rz. 99
Nach Auffassung einiger Gerichte sollte sich die Beiordnung nur auf die 1,5-Einigungsgebühr erstrecken, nicht aber auch auf die 0,8-Verfahrensdifferenzgebühr und die höhere Terminsgebühr. Begründet wurde dies mit einem Umkehrschuss zu § 48 Abs. 3 RVG. Dort war früher streitig, ob sich die gesetzliche Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auch auf die Verfahrensdifferenzgebühr und die höhere Terminsgebühr erstrecke. Der Gesetzgeber hatte auf diesen Streit mit dem 2. KostRMoG reagiert und in § 48 Abs. 3 RVG klargestellt, dass sich die Beiordnung "auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten" erstrecke. Daraus, dass der Gesetzgeber für diesen Fall einer Mehrwerteinigung die Beiordnung damit auch auf Verfahrensdifferenzgebühr und die Terminsgebühr aus dem Mehrwert erstreckt hat, wurde im Umkehrschluss gefolgert, dass in den übrigen Fällen einer Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe diese nur die Einigungsgebühr aus dem Mehrwert erfasse.
Rz. 100
Wird die Verfahrenskostenhilfebewilligung auf einen Vergleichsabschluss über nicht anhängige Gegenstände erstreckt (Mehrvergleich), kann der beigeordnete Rechtsanwalt aus der Staatskasse die Erstattung weder einer Verfahrensgebühr noch einer Terminsgebühr aus dem Mehrwert des Vergleiches verlangen.
OLG Dresden, Beschl. v. 7.2.2014 – 23 WF 1209/13
Rz. 101
Schließen die Beteiligten über den Verfahrensgegenstand hinaus einen Vergleich auch über nicht anhängige Verfahrensgegenstände, so ist auf Antrag die für das Ausgangsverfahren bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf den Mehrvergleich zu erstrecken. Der beigeordnete Rechtsanwalt kann aber aus der Staatskasse die Erstattung weder einer Verfahrensgebühr noch einer Terminsgebühr aus dem Mehrwert des Vergleichs verlangen.
OLG Dresden, Beschl. v. 2.2.2017 – 20 UF 1100/16
Rz. 102
Rz. 103
Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts bei einem Mehrvergleich über nicht rechtshängige Gegenstände
Im Gegensatz zum Scheidungsverbundverfahren (§ 48 Abs. 3 RVG) steht dem beigeordneten Rechtsanwalt bei einem Mehrvergleich über nicht rechtshängige Gegenstände lediglich die Einigungsgebühr zu.
OLG Köln, Beschl. v. 2.10.2014 – 12 WF 130/14
Rz. 104
Andere Gerichte nahmen dagegen eine Erstreckung an.
Erstreckung der VKH bei Mehrwertvergleich
Wird Verfahrenskostenhilfe für den Mehrwert eines Vergleichs bewilligt, so erstreckt sich die Bewilligung auch auf die Verfahrensdifferenzgebühr sowie die Terminsgebühr.
OLG Celle, Beschl. v. 8.5.2014 – 15 UF 166/13
Rz. 105
Schließlich wurde auch vertreten, dass zwar eine automatische Erstreckung nicht greife; es dem Gericht aber unbenommen bliebe, auf Antrag die Bewilligung auch auf die Verfahrensdifferenzgebühr und die höhere Terminsgebühr zu erstrecken.
Rz. 106
1. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 48 Abs. 3 RVG erfasst die Bewilligung von PKH/VKH auch für den Abschluss eines Mehrvergleichs ohne ausdrückliche dahingehende gerichtliche Anordnung nicht die auf den höheren Vergleichswert entfallende Verfahrensdifferenz- und Terminsgebühr des beigeordneten Rechtsanwa...