Rz. 130

Bei Verhandlungen über Vergleiche in arbeitsrechtlichen Mandaten sollten Anwälte stets die Bestimmungen der §§ 157 ff. SGB III im Auge behalten und ihre Mandanten über die in diesen Vorschriften enthaltenen Rechtsfolgen aufklären. Namentlich sind dies u.a.

das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld während der Zeit, für die Arbeitslose Arbeitsentgelt erhalten oder zu beanspruchen haben, und während der Zeit des abgegoltenen Urlaubs, für die Arbeitslose Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen haben;
das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, falls Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Entlassungsentschädigung (Abfindung usw.) erhalten oder zu beanspruchen haben und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist,
das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, falls Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt haben (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).
 

Rz. 131

Gerade die erwähnte Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe wird man mit Blick auf eine nicht immer einheitlich zu bezeichnende Handhabung in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung als gefährlich bezeichnen müssen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG löst der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III, wenn er einen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Vertrag schließt. Diese Grundsätze gelten auch für eine vor dem Arbeitsgericht getroffene Vereinbarung,[108] weshalb generell auch arbeitsgerichtliche Vergleiche den Anwendungsbereich des § 159 SGB III eröffnen.

 

Rz. 132

Allerdings soll das Vorliegen eines vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleichs relevant für die Abwägung sein, ob ein die Sperrzeit vermeidender Rechtfertigungsgrund gegeben ist. Das BSG vertritt die Ansicht,

Zitat

"dass der Frage nach der objektiven Rechtmäßigkeit der Kündigung dann nicht weiter nachzugehen ist, ein wichtiger Grund also auch dann vorliegen kann, wenn die Beteiligten im Rahmen des eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens die Beendigung des Arbeitsverhältnisses/Beschäftigungsverhältnisses einvernehmlich außer Streit stellen und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit dem abgeschlossenen Vergleich zu Lasten der Versichertengemeinschaft manipuliert werden soll".[109]

 

Rz. 133

Die genannten Maßstäbe wurden vom BSG dahingehend

Zitat

"weiterentwickelt, dass bei einem Aufhebungsvertrag mit Abfindungsvereinbarung in den Grenzen des § 1a Abs. 2 KSchG die Prüfung der Rechtmäßigkeit der drohenden Arbeitgeberkündigung entfällt und sich der Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund berufen kann, wenn keine Anhaltspunkte (z.B. offenkundig rechtswidrige Kündigung) für eine Gesetzesumgehung zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorliegen".[110]

 

Rz. 134

Neben den berührten sozialrechtlichen Aspekten sind auch Steuerfragen beim Abschluss von Vergleichen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu bedenken, vor allem seit die Freibetragsregelung für Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG mit Wirkung zum 1.1.2006 weggefallen ist. Daher sollte bei Abfindungsverhandlungen die Versteuerung entsprechender Beträge mitberücksichtigt werden.

 

Rz. 135

Ob im Rahmen eines arbeitsrechtlichen Mandates die Verpflichtung besteht, über eine mögliche Verschiebung des Beendigungszeitpunktes bzw. der Abfindungszahlung in das kommende Kalenderjahr zwecks Steuerersparnis aufzuklären, ist nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht ganz klar, auch wenn das OLG Düsseldorf im konkreten Fall eine Haftung des Anwalts verneint hat.

 

Rz. 136

Nach Auffassung des OLG Düsseldorf würde

Zitat

"das einem Rechtsanwalt erteilte Mandat um […] in der Regel nicht die Beratung und Belehrung im Steuerrecht [umfassen, weil…] Mandanten erfahrungsgemäß zwischen einer anwaltlichen Beratung im Steuerrecht und auf anderen Rechtsgebieten unterschieden [und] ein steuerrechtliches Mandat […] ausnahmsweise nur dann naheliegend [sei], wenn der beauftragte Rechtsanwalt zugleich Fachanwalt für Steuerrecht oder Steuerberater/Wirtschaftsprüfer ist".[111]

 

Rz. 137

Eine steueroptimale Gestaltung des Zuflusses einer Abfindung, die wegen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gewährt wird, müsse ein nicht zugleich als Fachanwalt für Steuerrecht qualifizierter Anwalt auch nicht vor Erlass einer höchstrichterlichen Entscheidung des BFH ungefragt empfehlen, da es sich dabei um ein spezielles steuerrechtliches Problem handelt und der Umfang auch das Steuerrecht umfassender Beratungen und Belehrungen "von der praktischen Bedeutung und dem “Bekanntheitsgrad‘ der jeweils steuerrechtlichen Regelungen ab[hinge]".[112]

 

Rz. 138

 

Praxistipp

Die Erwägungen des OLG Düsseldorf, das mit unbestimmten Ausführungen eine Haftung verneint, dürfen Anwälte nicht in Sicherheit wiegen. Ähnliches gilt auch im Hinblick auf die Ausfü...

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