Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 360
Klare Vorgaben, welche Anforderungen an die Bestimmtheit eines Mahnbescheidsantrags zu stellen sind, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen. Insofern vertritt der BGH, dass zur notwendigen Individualisierung die Benennung einzelner Pflichtverletzungen in dem Mahnbescheidsantrag nicht erforderlich ist. Es muss jedoch die Zusammensetzung der Forderung erkennbar sein, sowie ob aus eigenem oder abgetretenem Recht Ansprüche geltend gemacht werden. Näheres zu diesem Problem auch unter Rdn 708.
Rz. 361
Nach herkömmlicher Auffassung setzte die Vorschrift des § 826 BGB Grenzen für ein verjährungshemmendes Mahnverfahren. Die vorsätzlich sittenwidrige Bewirkung eines mit Hilfe des beschränkten Prüfverfahrens von Mahnbescheidsanträgen bewirkten Vollstreckungsbescheids – und nur dieser ermöglicht die Realisierung etwaig titulierter Ansprüche – sollte den Betroffenen die Möglichkeit der Restitution eröffnen, um so erfolgreichen Zugriffen auf ihr Vermögen zu begegnen. Dass nach einem Widerspruch gegen den Mahnbescheid und Überleitung ins sog. streitige Verfahren, derartige Erwägungen noch angebracht wären, erschien wenig denkbar, insbesondere dass Formfehler Grundlage dafür sein sollen, Mahnbescheiden samt und sonders ihre Wirksamkeit zu entziehen.
Rz. 362
Mittlerweile ergeben sich für Anwälte aber erhebliche Risiken aus einer im Jahr 2015 von mehreren Zivilsenaten des BGH vollzogenen Zuwendung zu § 242 BGB als im Allgemeinen zu beachtendes, "institutionalisiertes", rechtsfolgenbeschränkendes Korrektiv bei der Anwendung von § 204 BGB, die exemplarisch erst für das Mahnverfahren vollzogen und anschließend auch auf Güteverfahren bezogen wurde. Dabei erfolgte Querverweise in den einschlägigen BGH-Urteilen lassen aber eine Verallgemeinerungstendenz auf alle in § 204 BGB genannten Hemmungstatbestände erkennen.
Rz. 363
Die Verknüpfung der Worte "Verfahrensmissbrauch und Mahnverfahren" gibt daher nur diese am Exempel des Mahnverfahrens vollzogene Rechtsprechungsentwicklung wieder, auch wenn der sog. Verfahrensmissbrauch kein auf Maßnahmen nach §§ 688 ff. ZPO beschränkter Umstand ist, sondern auch in den folgenden Unterabschnitten als Tatsache in Form aktueller Rechtsprechung für andere Hemmungstatbestände in § 204 Abs. 1 BGB zugrunde gelegt wird.
Rz. 364
Als Reaktion auf eine – so das OLG Celle in einem Urt. v. 24.9.2015 – "rechtshistorische Ausnahmesituation", nämlich einer Verfahrens- und Klagewelle wegen des Endes der sog. absoluten Verjährungsfrist Ende 2011 nach § 199 Abs. 3 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 EGBGB, implementierte der BGH mit dem sog. "Institut der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die verjährungshemmenden Wirkungen des § 204 BGB" nämlich einen richterrechtlich anerkannten allgemeinen Anwendungsfall von § 242 BGB, mit dessen Hilfe die Wirkungen des § 204 BGB suspendiert werden können.
Rz. 365
Bis zu diesem Paradigmenwechsel war es allgemeine Ansicht, dass es für das Auslösen der verjährungshemmenden Wirkungen des § 204 BGB grds. keine Rolle spielt, wenn die ergriffene Rechtsverfolgungsmaßnahme Defizite formeller oder materieller Art aufweist. Weder eine mangelnde Zulässigkeit noch eine fehlende Schlüssigkeit sollte jedenfalls bei Klagen unschädlich für die Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB sein. Abgesehen von einigen Ausnahmen, insbesondere in der Mitte der Nuller Jahre von einigen Zivilsenaten des BGH entwickelten Anforderungen an die Bestimmtheit von Mahnanträgen, war ein derartiger Befund auch für die anderen Hemmungstatbestände des § 204 Abs. 1 BGB möglich.
Rz. 366
Einzige ernstzunehmende Grenzziehung bildete die Frage nach der Wirksamkeit einer Rechtsverfolgungsmaßnahme, etwa die Unterschrift bei Klagen oder Mahnbescheiden. Dabei war und ist aber ungeklärt, wann das Verdikt der Unwirksamkeit zutrifft. Während einige schon bei fehlender Zulässigkeit etwa infolge Fehlens von Anlagen, auf die in der Klageschrift Bezug genommen wird, eine Unwirksamkeit propagieren, stellen andere auf gravierende oder wesentliche Mängel bei Verstößen gegen zwingende Formvorgaben ab, um erst zu einer Unwirksamkeit und infolge dessen einer Nichthemmung durch Rechtsverfolgungsmaßnahmen zu kommen.
Rz. 367
Auch wenn dort die vorstehenden Grundsätze in groben Zügen betreffend das Mahnverfahren noch einmal wiedergegeben wurden, sollte eine Entscheidung des BGH vom 21.12.2011 den Ausgangspunkt dafür liefern, dass rund vier Jahre später eine Vielzahl von Ansprüchen vermeintlich oder echt geprellter Kapitalanleger vom BGH als verjährt eingestuft wurden, weil sie ihre Ansprüche zunächst mit Hilfe eines Mahnbescheids verfolgt hatten. Dabei verhielt sich jenes Judikat über die Hauptleistungspflichten der Parteien nach einem Kauf von Möbeln im Jahr 2005, infolge dessen die Möbelhauskette die Zahlung des Kaufpreises von 1.296 EUR für die bei ihm nicht abgeholten Möbel Ende 2008 mit einem Antrag auf Mahnbescheid geltend machte.
Rz. 368
Das AG München als Ausgangsinstanz gab der Klage de...