Dr. iur. Alexander Weinbeer
Rz. 95
Weitere regressträchtige Besonderheiten ergeben sich aus der Tatsache, dass für besondere Gruppen von Arbeitnehmern besondere Kündigungsvoraussetzungen normiert oder auch Verbote einer Kündigung geregelt sind.
Rz. 96
Bei der außerordentlichen Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer muss die korrekte Beteiligung des Integrationsamtes beachtet werden. § 174 Abs. 2 SGB IX fordert insoweit, ebenso wie § 626 Abs. 2 BGB, dass der Kündigungsberechtigte innerhalb von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis von den kündigungsrelevanten Umständen den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt stellt, wobei für die Fristwahrung der Eingang des Antrags beim Integrationsamt maßgeblich ist.
Rz. 97
Zu beachten ist die Zustimmungsfiktion des § 174 Abs. 3 S. 2 SGB IX, wonach ohne eine Äußerung des Integrationsamts binnen zwei Wochen nach Zugang des Arbeitgeberantrags die Zustimmung als erteilt gilt, weil die Kündigung gem. § 174 Abs. 5 SGB IX nur dann auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB erfolgen kann, wenn sie unverzüglich, also ohne schuldhaftes Verzögern (§ 121 BGB) nach Erteilung der Zustimmung i.S.d. § 174 Abs. 3 SGB IX erklärt wird.
Rz. 98
Gegenüber Frauen gilt nach § 17 MuSchG ein Kündigungsverbot während ihrer Schwangerschaft bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche und bis zum Ende ihrer Schutzfrist nach der Entbindung, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung.
Rz. 99
Voraussetzung dieses Verbotes ist aber, dass dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft, die Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder die Entbindung bekannt ist. Falls eine solche Kenntnis des Arbeitgebers nicht unterstellt werden kann, müssen ihm Schwangerschaft, Fehlgeburt oder Entbindung innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt werden, § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG.
Rz. 100
Wird von der betroffenen Frau das Erfordernis der Kenntnisverschaffung nicht beachtet, eröffnet § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG eine Rettungsmöglichkeit, die der sie betreuende Anwalt bedenken muss: Das Überschreiten der Frist des § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist danach unschädlich, wenn die Überschreitung auf einem von der Frau nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.
Rz. 101
Entsprechendes gilt für Vorbereitungsmaßnahmen des Arbeitgebers, die er im Hinblick auf eine Kündigung der Frau trifft, also insbesondere bei einer Abmahnung, § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG.
Rz. 102
Arbeitgeberanwälte haben unter Umständen ihre Mandanten darauf hinzuweisen, dass das Kündigungsverbot des § 17 MuSchG in Fällen, die nicht mit dem Zustand der Frau in der Schwangerschaft, nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche oder nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, obsolet sein kann, wenn die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklärt. Auf das in § 17 Abs. 2 S. 2 MuSchG statuierte Schriftform- und Begründungserfordernis einer solchen Kündigung ist hinzuweisen.
Rz. 103
Außerdem weist das Procedere einige Besonderheiten auf, weil § 17 Abs. 2 MuSchG keine näheren Verfahrensvorgaben enthält und die erforderliche Mitwirkung von obersten Landesbehörden oder von ihr bestimmten Stelle die Beachtung der Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und landesrechtlicher Vorgaben nötig macht. Demnach sind in den einzelnen Bundesländern die verschiedensten Behörden zuständig und es kann vom Arbeitgeber nach § 10 S. 1 VwVfG auch ein mündlicher Antrag gestellt werden. Zweckmäßig ist eine solche Vorgehensweise nicht.
Rz. 104
Praxistipp
Empfehlenswert ist es aber, dass der Antrag schriftlich gestellt und mit dem Hinweis versehen wird, dass die Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung einer Frau nach § 17 MuSchG begehrt wird. Um unnütze Verzögerungen zu vermeiden, sollten die maßgeblichen Fakten (Name Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Familienstand, Unterhaltspflichten der Arbeitnehmerin, Art der beabsichtigten – ordentlichen oder außerordentlichen, Beendigungs- oder Änderungskündigung – Kündigung, Zeitpunkt und Fristen der Kündigung, Stadium der Schwangerschaft bzw. Tag der (Fehl-)Geburt schon in dem Antrag mitgeteilt und einschlägiger Beweis benannt bzw. sogleich vorgelegt werden. Außerdem ist es ratsam, gleichzeitig mit der Antragseinreichung die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. Nr. 4 VwGO zu erbitten.
Rz. 105
Zwar enthält § 17 MuSchG keine Regelung über die Einhaltung einer bestimmten Frist, so dass bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung auch keine bestimmte Frist für den Antrag nach § 17 Abs. 2 MuSchG zu beachten ist. Anders ist es aber bei der – praktisch wohl wesentlich relevanteren – Absicht, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, weil dann eine Kollision mit der Fristenregelung des § 626 Abs. 2 BGB auftritt. Denn eine zwar innerhalb der 2-Wochen-Fris...